: Sieben Milliarden für die Opfer
Oberstes Gericht zwingt den spanischen Staat, 30.000 Opfer des Speiseölskandals vor 16 Jahren jetzt zu entschädigen. Schwerbehinderte bekommen eine Million Mark ■ Von Reiner Wandler
Berlin (taz) – Der Staat ist für die Fehler seiner Beamten auch zivilrechtlich verantwortlich, so beschloß es der Oberste spanische Gerichtshof – das Tribunal Supremo – am Donnerstag und erleichtert das Staatssäckel damit um knapp sieben Milliarden Mark. Zugesprochen wurde diese Summe den Opfern von degeneriertem Rapsöl, das Anfang der achtziger Jahre fälschlicherweise alle staatlichen Kontrollen passiert hatte und zum Konsum freigegeben wurde. Die Folge: eine der größten Lebensmittelvergiftungen der Geschichte.
16 Jahre und fünf Monate gingen damit ins Land, seit der achtjährige Jaime Vaquero Garcia in Torrejón bei Madrid als erster den Vergiftungserscheinungen erlag, die weltweit die Wissenschaftler vor ein Rätsel stellten. Unbekannte Bakterien, chemische Kampfstoffe aus dem nahe gelegenen US-Stützpunkt, keine Spekulation wurde ausgelassen. Die Antwort war viel einfacher. Degeneriertes Öl, für einen Einsatz als Schmiermittel in der Industrie bestimmt, war in einer betrügerischen Großaktion in den Handel geraten. 1.100 Tote und 30.000 Menschen mit zum Teil schwersten Gesundheitsschäden, so lautet die traurige Bilanz des schnell verdienten Geldes.
Mit der Entscheidung vom Donnerstag hebt der Oberste Gerichtshof ein Urteil untergeordneter Instanzen auf, nach dem der Staat nur 50 Prozent der Entschädigung zahlen muß, falls die eigentlich verantwortlichen Ölproduzenten und die in den Fall verstrickten Beamten nicht zahlen können.
Die direkt vom Tod eines Familienmitglieds Betroffenen sowie die Erben der Verstorbenen sollen jeweils 200.000 Mark, schwerbehinderte Opfer eine Million Mark und Arbeitsunfähige 800.000 Mark Entschädigung erhalten. Wer nicht komplett arbeitsunfähig ist, bekomme weniger, die Untergrenze liegt allerdings immer noch bei 200.000 Mark für diejenigen, die jahrelange gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten haben.
Der damalige Direktor des Zentralen Zoll-Labors und ein früherer Abteilungsleiter des Wirtschaftsministeriums, die beide mit ihrer schlampigen Prüfung das giftige Öl auf den Markt ließen, müssen für sechs Monate und einen Tag hinter Gitter. Bereits 1989 waren 13 Speiseölproduzenten zu langen Haftstrafen verurteilt worden.
Die Anwälte der Betroffenen fordern jetzt eine schnelle Abwicklung der Entschädigungszahlungen. Diese dürfte allerdings schon an der notwendigen Einzelfallprüfung scheitern. Jedes der 30.000 Opfer soll nämlich mit Hilfe einer medizinischen Untersuchung in die richtige Entschädigungskategorie eingeordnet werden.
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