: Kicken für den Börsenboom
Deutsche Fußballklubs wollen ran an die Aktienmillionen, doch in Großbritannien purzeln die ersten Ballkurse schon wieder ■ Aus Hamburg Hermannus Pfeiffer
Hurra, der Präsident bleibt!“ freute sich die Fernseh-Fußballshow „ran“ noch am vergangenen Wochenende (d.h. Ende September, d.Red.). Der Präsident ist eigentlich Kaiser, heißt Franz Beckenbauer und machte seine weitere Regentschaft beim Fußballclub Bayern München abhängig von einen Gang an die Börse. Aktieneuphorie pur: 400 bis 600 Millionen Mark sollen die Aktionäre im Juli 1999 in die Vereinskasse schwemmen.
Die kleinen Konkurrenten schrecken solche Millionenspiele schon gar nicht mehr. „Ich habe wirklich keine Lust mehr zu jammern“, sagt Christian Hinzpeter. Längst könne von einer auseinandergehenden Schere zwischen Arm und Reich nicht mehr sinnvoll die Rede sein, bedauert der Vizepräsident des Zweitligisten FC St. Pauli: „Wir haben schon die Drei-Klassen-Geschichte!“
Dem könnte wohl auch ein gewisser Gerd Niebaum zustimmen. Für Anlage-Management, eine Publikation der Deutschen Bank, schrieb er im Leitartikel: „In Deutschland haben die führenden Fußballklubs den klassischen Vereinszweck bereits weit hinter sich gelassen und sich zu expandierenden Unternehmen entwickelt.“ Niebaum ist Präsident von Branchenprimus Borussia Dortmund.
Für Roswitha Dröber, Analystin der Bayerischen Landesbank, stehen Fußballaktien „sehr im Blickpunkt“. Das große Spekulationsinteresse wecken die Balltreter als Teil der Zukunftsbranche Freizeit- und Medienindustrie. „Englische Fußballclubs – mehr als ein Investment in Fußball“, heißt daher eine Studie der Landesbank in München. „Anfangs wurde alles gekauft, was am Markt war“, bedauert die Bankerin. Folglich verzehnfachten sich die Kurse und überholten sogar den rasenden allgemeinen Börsenboom.
In den vergangenen zwei Jahren sei jedoch die anfängliche Euphorie verflogen: Derweil die britischen Börsen satte 24 Prozent zulegten, verloren in diesem Jahr die Manchester-Aktionäre drei Prozent ihres Vermögens. Solche spekulativen Mißerfolge haben möglicherweise die Fanamateure vom Aktienmarkt vertrieben, nicht jedoch die Finanzprofis. Der Markt hat sich normalisiert, und Fußballaktien liegen nun emotionslos neben den Anteilsscheinen von British Telekom oder Daimler-Benz in der Börsenauslage. „Der Markt für Fußballaktien wandelte sich von der Euphoriephase zur Realitätsphase“, sagt Dröber.
Trotz der Ökonomisierung bleiben lästige Unwägbarkeiten: Nach einer schweren Knöchelverletzung von Mittelstürmer Alan Shearer verloren Aktien von Newcastle United innerhalb von Minuten über sieben Prozent. Aber der wirtschaftliche Aufschwung außerhalb der Stadienränge macht die Aktienfußballer zumindest mittelfristig vom Spielausgang unabhängig, und langfristig setzt das größere Kapital ohnehin regelmäßig sportliche Erfolge frei.
„Eine Konzentration der Anleger auf die Top-Klubs“, erwartet daher Finanzfachfrau Dröber. Gewinnhoffnungen setzt eine Analyse ihrer Landesbank auf „das digitale Pay-per-view-Fernsehen“ und den Aufbau einer „Erlebniswelt“ jenseits des antiquierten Gebolzes. In diese Richtung gehen auch Planspiele wie die Europaliga oder eine Bundesliga ohne Abstieg nach dem Vorbild des American Football. Selbst die Fußballbranche verfügt nicht über eine eingebaute Profitgarantie.
Ohnehin sind die angehenden Fußball-AGs ökonomisch bestenfalls kleine Mittelbetriebe, die hierzulande aus guten Gründen meist als GmbH oder auch Genossenschaft geführt werden. Und in den Bilanzen steckt viel Luft: So bringt zwar der Verkauf von Bayern-Bettwäsche nach Vereinsangaben einen Umsatz von 25 Millionen Mark. Davon fließen jedoch lediglich 15 Prozent als Lizenzeinnahme real in die Bayern-Kasse. Rechtsanwalt Hinzpeter von St. Pauli wirft für die Millerntorbuben die Idee einer Genossenschaft ins Feld, wie sie auch von Sankt-Pauli- Urfans gefordert wird. Andere Noch-Vereine, darunter wohl auch Bayer Leverkusen, denken an die Gründung einer GmbH. Die dafür notwendigen 50.000 Mark werden aufzutreiben sein, auch wenn die TV-Gelder in Deutschland noch hinter denen in Britannien, Italien oder Spanien hinterhertappen.
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