: Eier und geballte Fäuste im Steintor
■ Die RTL-Talkshow „Bärbel Schäfer“sorgte auf dem Ziegenmarkt für Randale und hohe Einschaltquoten für das Privatfernsehen
Eine Flagge mit RAF-Stern flattert über dem Ziegenmarkt. Fäuste recken sich gen Himmel. Junkies, Punks und Alkis belagern den Platz und brüllen: „Haut ab, Haut ab.“An normalen Tagen hängt hier nur eine Handvoll Junkies ab. Aber heute gibt–s Randale. Die Polizei steht in Form von Revierleiter Siegfried Schmidt eingequetscht in der Menge und sagt in ein Mikrofon: „Wir als Polizei können dieses Problem allein nicht lösen.“
Das Problem hieß gestern „Ihr versaut uns unsere Stadt – Bürger gegen Junkies“– und erreichte knapp zwei Millionen ZuschauerInnen. Die Mittags-Talkshow „Bärbel Schäfer“war gestern in Bremen zu Gast – „weil die Bärbel doch aus Bremen stammt“und weil „das Problem da am Ziegenmarkt doch irgendwo dramatischer wird“, erklärt eine Bärbel-Schäfer-Pressefrau das Interesse für ausgerechnet diesen Punkt der Stadt, der weniger wegen Randale aber dafür mehr wegen politischer Schaukämpfe wie einem gefordertem „Alkohol-Verbot“jüngst bereits für Schlagzeilen sorgte. Doch gestern war sie endlich da, die herbeidiskutierte Randale.
Dabei hatte es Bärbel Schäfer doch nur gut gemeint mit ihrer 70köpfigen TV-Crew, mit der sie seit einer Woche ihre „Bärbel on road Tour“fährt. Hatte sie doch vor der Sendung 90 „beats per minute“-Techno-Musik durch die Boxen gejagt und eine Minute vor Sendebeginn mit Billy Idols „Rebel Yell“der anwesenden Menge eingeheizt. „Und hier ist sie, die Bärbel Schäfer ...“, rauschte es dann aus den Boxen: Bremen war plötzlich „on tv“. Und alles lief glatt. Bis „der Stefan“kam – der erste geladene Talk-Gast.
Da flog das erste Ei. Es zerplatzte nicht auf Stefans Lederjacke sondern auf dem Pflaster. Der als von der Bürgerbewegung „Wir im Viertel“vorgestellte Mann will endlich reden über „das Problem, das stellvertretend ja auch für alle anderen Städte steht“, sagt Bärbel. „Halt's Maul, halt's Maul, halt's Maul“, brüllt aber die Menge. Triller-Pfeifen setzen ein. Bärbel beschwert sich beim Publikum und versucht es weiter: „Was willst Du zu dem Verhältnis zwischen Bürgern und Junkies sagen“, fragt sie Stefan. Der klagt brav über die „schlechte Wohnqualität vor Ort“, aber wegen des Lärms versteht ihn sowieso keiner.
Doch Bärbel gibt nicht auf. Schnell zerrt sie zwei Anwohner aus dem Publikum: „Was wollen Sie zu dem Verhältnis zwischen Bürgern und Junkies sagen?“, fragt sie und erhält eine Antwort: „Die Junkies belästigen uns nicht, aber sie sind eine Belästigung“. Aber auch dieses Statement fordert Protest: Wie bestellt setzen Pfeifkonzerte ein. Immer wieder sucht Bärbel Stimmen für Junkies (die Menge bleibt ruhig) und gegen Junkies (die Menge begehrt auf).
Bei diesem Pro und Contra-Spiel darf auch Martina, der zweite Talk-Gast nicht fehlen. „Sie bezeichnet den Ziegenmarkt als ihr Wohnzimmer und ist Junkie“, sagt Bärbel und Martina gibt Stefan sogleich Contra: „Du säufst doch auch zuhause“, herrscht sie ihn an und greift das befragte ältere Ehepaar an: „Ich ärgere mich auch über Hundescheiße von den Hunden der Rentner, die hier Gassi geführt werden.“Die Frau kassiert tosenden Beifall und die Stimmung schaukelt sich weiter hoch.
Dagegen kann auch Talkgast Nummer Drei, „die Marlies, der gute Engel vor Ort, der die Junkies betreut“nichts mehr machen: „Seid doch mal ruhig, die Leute denken doch sonst, ihr seid immer so“, appeliert sie – umsonst. Bärbel kommt mit ihrem Mikrofon fast gar nicht mehr durch. Die Zeit drängt, nur noch fünf Minuten bis Sendeschluß.
Politische Forderungen wie die Freigabe von Drogen oder Kritik an der „Vertreibungspolitik der CDU“blockt Bärbel schnell ab: „Es geht ja hier nur darum, wie sie hier miteinander auskommen“, sagt sie und fordert eine Minute vor Schluß rasch ein letztes „Ein-Satz-Statements“von jedem Talkgast ein. Doch auch das geht im Lärm unter. Nur Martina brüllt noch laut: „Ich will hier doch nur eins haben: Verständigung.“
Katja Ubben
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