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AnalyseDie andere Backe

■ Appeasement hilft in Teheran nicht

Manchmal ist Klaus Kinkel wirklich zu bedauern. Wann immer er sich bemüht, das Zerwürfnis mit dem Regime in Teheran möglichst lautlos zu beenden, geben ihn die Mullahs der Lächerlichkeit preis. Das Muster ist immer dasselbe. Die Herrscher in Teheran geben sich selbstbewußt, und Kinkel, Vater des „kritischen Dialogs“, macht regelmäßig den Eindruck, als sei er gerade gegenüber dem Iran besonders christlich und würde immer die andere Backe hinhalten.

Das hat bereits zu einer grotesken Umkehrung von Schuld und Sühne geführt. Statt sich für den Mordanschlag auf kurdische Exilpolitiker im Berliner Restaurant „Mykonos“ zu entschuldigen, fordern die Mullahs Genugtuung dafür, daß ein deutsches Gericht es gewagt hat, auch die Drahtzieher des Attentats aus Teheran anzuprangern. Bis heute stellt Teheran und nicht Kinkel die Bedingungen für eine Wiederaufnahme der Beziehungen. Der deutsche Botschafter darf erst als letzter EU-Diplomat nach Teheran zurückkehren. Noch verhalten sich die meisten EU-Mitglieder solidarisch mit Bonn. Aber es ist abzusehen, daß das Geschäft bald doch wichtiger ist, weil das Fressen eben vor der Moral kommt.

Offenbar hat Kinkel am Rande der UNO-Vollversammlung in gewohnt schlechter Weise noch einmal versucht, sich lautlos mit dem iranischen Außenminister zu einigen, und dazu auch bilaterale Gespräche angeboten. Jetzt wird er von Teheran erneut vorgeführt, weil Bonn öffentlich nicht allein verhandeln will, solange die Iraner die Diskriminierung des deutschen Botschafters nicht zurücknehmen. Genüßlich spricht der Iran von einem völligen Durcheinander in der deutschen Diplomatie. Lernunfähigkeit wäre treffender.

Schon der „kritische Dialog“ hat zur Verbesserung der Menschenrechtslage im Iran nichts beigetragen. Die wachsweiche Bonner Reaktion auf die iranischen Drohgebärden nach dem Urteil werden weder dazu führen, daß zukünftig iranische Terrorkommandos Deutschland meiden, noch hat Kinkels stille Diplomatie den Schriftsteller Faradsch Sarkuhi gerettet. Gerade der Fall Sarkuhi hat gezeigt, daß, wenn überhaupt, nur lautstarker Protest etwas bewirkt.

Seit Anfang August ist der von vielen Hoffnungen begleitete neue iranische Präsident Chatami nun im Amt. Seine Wahl hat gezeigt, daß die meisten Iraner und vor allem Iranerinnen von den dogmatischen Mullahs die Nase gestrichen voll haben. Auch die Orthodoxen in Ghom und Teheran wissen, daß sie die Wünsche der Bevölkerung nicht mehr einfach ignorieren können. Zur Verbesserung des Lebensstandards braucht der Iran bessere Wirtschaftsbeziehungen. Seit Chatamis Amtsantritt hat sich noch nicht viel bewegt. Das kann an internen Machtkämpfen im Iran liegen. Das kann aber auch daran liegen, daß weder die USA noch die EU ihre Positionen gegenüber dem Iran neu definiert haben. Da europäisches Appeasement aber gleichermaßen erfolglos war wie amerikanische Sanktionspolitik, wäre es an der Zeit, daß der Westen seine Forderungen klar formuliert, so daß die iranische Bevölkerung sich damit identifizieren kann. Veränderungen im Iran werden nur durch vereinten Druck von innen und außen durchzusetzen sein. Jürgen Gottschlich

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