: Knopf drücken und Kunst!
■ Schon müssen Medien ins Museum: Das neue Karlsruher Zentrum gibt all den heimatlosen Mattscheiben einen Ort - Pac Man, Schwarzweißvideo-Jukeboxen und elektrische Kamine
„Das Bild hängt an der Wand wie ein Jagdgewehr oder ein Hut“, schrieb Martin Heidegger 1935. „Die Werke werden verschickt wie die Kohlen aus dem Ruhrgebiet und die Baumstämme aus dem Schwarzwald.“ Da war die Welt der Kunst noch in Ordnung. Doch dann kam Walter Spahrbier.
Als der TV-Postbote 1954 in Peter Frankenfelds Show „1:0 für Sie“ die Botschaft zu Fuß überbrachte, war die Nachricht via Antenne und Fernsehschirm längst in den Köpfen der Zuschauer. Der traditionelle Postbote sollte den televisuellen Vorgang nur sichtbar und beherrschbar machen. Doch das Mediale wurde durch diese Inszenierung eigentlich verdeckt. Mit Spahrbiers Post-Paradox begann eine neue Ära der Ästhetik.
Offiziell begann dann die Medienkunst erst ein Jahrzehnt später, Spahrbiers TV-Show-Avantgarde einzuholen. Nam June Paik zeigte 1963 auf einer Ausstellung erstmals manipulierte Fernsehbilder. Mit seinem „TV-Buddha“ – einer vor ihrem eigenen Live-Fernsehbild meditierenden Buddha-Statue – schuf er 1974 das Paradigma der Medienkunst schlechthin.
Das Zeigen und Manipulieren von Bildern, das also, was der Fernsehapparat den ganzen Tag macht, avancierte zum eigentlichen künstlerischen Gehalt der Videoinstallation (in den 70ern) und der Videoskulptur (in den 80ern).
Die Medienkunst brachte mit Bruce Naumann, Marie Jo Lafontaine, Klaus vom Bruch und Dara Birnbaum viele interessante Werke hervor. Nicht zu unterschätzen, daß die neue Sparte von Männern noch nicht besetzt war und vielen Künstlerinnen Möglichkeiten eröffnete. Sie verband traditionelle Formen (Bild, Objekt) mit Aktionskunst und Happening – und schuf so gestaltete Zeit.
Doch das Ausdrucksspektrum war rasch erschöpft, die ästhetische Wirkung hat sich nach kurzer Verblüffung jeweils verbraucht. Das rational Apparathafte dominiert dann über das irrational Ästhetische. Wohin dann mit der sophistischen Elektrik, den zur Kunst erklärten Mattscheiben?
Heute wird, programmatisch mit einem Konzert der Elektroavantgardisten von Kraftwerk, der Neubau des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe eröffnet und beantwortet diese Frage auf überzeugende Art: ins Museum damit. Ähnlich sperrig wie die Medienkunst stand nämlich in Karlsruhe eine alte Munitionsfabrik (ausgerechnet) von 1918 in der Gegend herum, die man nicht abreißen durfte, weil sie unter Denkmalschutz stand. Für 120 Millionen Mark wurde der 318 Meter lange Betonskelettbau so renoviert, daß das Charakteristische blieb. Neben einer städtischen Galerie mit konventionellen Bildern für den normalen Karlsruher und der Hochschule für Gestaltung nimmt das ZKM den größten Teil des Gebäudes ein, das mit seinen Lichthöfen, weiten Blicklinien und Freitreppen bei der Begehung ein beeindruckendes Raumgefühl erzeugt. Für die Präsentation der Medienkunst wurde der lichtdurchflutete Raum nach dem Prinzip der sogenannten „Mechano- Dose“ in kleine, abgedunkelte Schachteln aufgeteilt.
Das seit 1989 bestehende ZKM gliedert sich in einen nichtöffentlichen Forschungsbereich und den öffentlichen Sektor. Der besteht aus zwei Museen, einer Mediathek und einem Theater. An dieser erschlagenden Vielfalt arbeitet sich der Besucher ab, indem er zunächst das Museum für Neue Kunst besucht. Hier werden Tafelbilder von Polke und Baselitz neben Fotografien, Klanginstallationen und humorvollen Videoskulpturen von Fabrizio Plessi ausgestellt. Manchmal ist das witzig, manchmal hat es was von elektrischem Kaminfeuer.
Tiefer in die mediale Vernetzung führt der Gang ins nicht minder ausgedehnte Medienmuseum. Dort werden die Objekte nicht nur angeschaut. Ob er will oder nicht: Der Besucher muß selbst etwas tun, einen Knopf drücken oder Pflanzen quälen, indem er sie unter Strom setzt.
Interessant ist die (Unter-)Abteilung „Welt der Spiele“, in der vom Telespiel über den klassischen Pac Man und den Nintendo Gameboy die medientechnisch rasante Entwicklung der „Baller- Spiele“ dokumentiert ist: Der Besuch beginnt mit der Betrachtung eines Tafelbildes und endet damit, daß man auf alles schießt, was sich bewegt.
Einer der spannendsten Abschnitte ist die vordergründig gar nicht so spektakulär scheinende Mediathek, die neben einer herkömmlichen Bibliothek und einer Archivierung moderner elektronischer Musik durch ihre Videosammlung besticht. Das Kunstvideo hat (im Idealfall) nichts mit dem zu 100 Prozent auf Zelluloid gedrehten MTV-Pop-Video zu tun und hat seine Wurzeln eher im Experimentalfilm. Den ästhetischen Reichtum des medienspezifischen Kunstvideos kann man im ZKM an angenehm unspektakulär gestalteten Rechercheplätzen studieren. Etwa 120 Einzeltitel wurden (bislang) digitalisiert und stehen dem interessierten Besucher über ein Jukebox-System zur Verfügung. Das Spektrum reicht „vom flimmernden polnischen schwarzweißen Experimentalfilm, dem man seine schwierigen Entstehungsbedingungen ansieht, bis zur perfekten japanischen High-Tech- Computeranimation“ (Katalog).
Im ZKM gibt es noch einige Abteilungen, die man nicht so leicht betreten kann, weil sie virtuell sind. Es ist nicht alles Kunst, was mediatisiert. Aber es ist reizvoll, das vor Ort selbst herauszufinden. Wie es sich gehört, gibt es für den Hausgebrauch keinen richtigen Katalog, sondern eine CD ROM, die mit Text, Bild und Ton Künstler und ihre Werke und Aktionen über mehrere Jahrzehnte dokumentiert. Manfred Riepe
ZKM Karlsruhe, Tel. 0721/8100-1200, geöffnet Mi.–Sa. 12–20 Uhr, So. 10–18 Uhr; Eintritt 10/5 DM; das Festival Mediale 5 bietet an den Wochenenden bis zum 9.November Konzerte, Diskussionen etc.
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