: Die Erwerbsbiographie ist im Eimer
■ taz-Serie: Was alles gegen die Wehrpflicht spricht. Entscheidungshilfen für FDPler anläßlich einer Mitgliederbefragung
Hochverehrte FDP-Mitglieder, mögen andere über Ihre sieche Partei spotten, ihre Existenzberechtigung anzweifeln wie auch ihren Fortbestand und Sachverstand, die taz läßt Sie nicht im Stich. Schon immer standen wir Minderheiten bei, wußten den Gebeutelten Mut zu machen und den Darbenden Trost zu spenden.
Wir wissen um Ihre tief liberale Gesinnung und offene Geisteshaltung. Wir sind überzeugt, daß gerade viele von Ihnen, werte FDPler, unter unseren treuen Lesern und Leserinnen sind und kaum jemand sonst so intensiv die differenzierten Meinungen und Argumente dieser Zeitung studiert.
In diesen schweren Tagen nun bekommen sie Post von Ihrer Parteizentrale in Bonn. Man möchte per Urabstimmung wissen, ob Sie persönlich für oder gegen die Wehrpflicht sind. Sollen junge Männer, dürfen junge Frauen sollen, können Verweigerer...? Ist es ein Grundrecht, gar ein Menschenrecht, potentieller Mörder werden zu dürfen...?
Erschüttert sind wir vom Antragstext Ihrer parteiinternen Abschaffungsbefürworter. Er ist so dürftig ausgefallen, als wollten die Initiatoren seinen Erfolg von vornherein verhindern. Erschüttert sind wir auch vom anderen Text, weil da so viel hanebüchener Unsinn steht.
Wir helfen weiter und erlauben uns, Ihnen in einer 13teiligen Reihe Kaskaden glasklarer Argumente vorzustellen, die die Gewissensentscheidung Ihrerseits eindeutig erleichtern werden. Wir werden die Zivildienstlüge entlarven, die Schweine-Bürokratie und Nato-Auswärtsspiele kennenlernen, Pickelhauben-Denken mit Toleranz vergleichen, erstaunlicherweise vergeblich nach rechtsradikalen Offiziere fahnden und viel Geld auftreiben. Mysterium Wehrpflicht!
Nehmen wir, das Joint-venture aus taz und FDP-Basis, dazu Ihre PolitikerInnen in Bonn gemeinsam in die Pflicht. Fangen wir in der Sache mit den Basisfakten an: Kalter Krieg und Bedrohung sind Vokabular von gestern. Das Feindbild Rote Armee ist nicht mehr. Selbst Volker Rühe sieht sich „von Freunden umzingelt“. Nie war der Frieden so stabil, und dennoch wird weitergemacht wie bisher, wenn auch auf niedrigerem Niveau (10 statt früher 15 oder gar 18 Monate Dienst).
Immer noch werden Gewissenstäter, die sich per Grundgesetz dem Waffendienst verweigern, als Zivis mit automatisch drei Monaten mehr Dienstzeit bestraft. Immer noch müssen Verweigerer auf diese typisch deutsche Art ihre Gewissensnot bürokratisch begründen. Immer noch gibt es, für manche Gewissenstäter nach wie vor obligatorisch, die Prüfungsausschüsse mit dem alten Tribunal. Immer noch müssen Verweigerer in den Knast, weil sie jeden staatlichen Zwangsdienst ablehnen. Und immer noch zerstört die Wehrpflicht Biographien: 1997 wurden bislang allein an die 5.000 Abiturienten aus einer Lehre heraus einberufen. Die Betriebe führen diese Lehrstellen leerstehend weiter.
5.000 andere gucken wegen solcher Blockade in die Röhre. Die Wehrpflicht ist Unfug von vorgestern. Schaffen wir sie auf den Müllhaufen der Geschichte. Bernd Müllender
Morgen folgt Teil 2:
Undankbare Brut
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