: „Keine Raffgier, sondern seriöse Pläne“
■ Mut zum schlanken Staat, fordert Hans-Jochen Brauns, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der neben den elf städtischen Krankenhäusern auch die staatlichen Seniorenheime übernehmen will. Auch Kündigungen sind für DPWV kein Tabu
taz: Die Liga der Wohlfahrtsverbände möchte in den nächsten Jahren alle städtischen Kindergartenplätze übernehmen, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) als Mitglied der Liga die elf städtischen Krankenhäuser. Wollen Sie den öffentlichen Dienst aushöhlen oder sogar überflüssig machen?
Hans-Jochen Brauns: Unseren Vorschlägen werden Raffgier und Größenwahn unterstellt. Hinter unseren Vorschlägen stehen aber ernsthafte Überlegungen: Die Stadt braucht nicht den Staat als sozialen Dienstleister. Es gibt eine Vielfalt von Trägern, die diese Aufgaben übernehmen können. Die Heterogenität der Träger – im Paritätischen sind es allein 500 – entspricht der Komplexität unserer Lebensverhältnisse. Ich denke, der Staat muß sich darauf beschränken, daß für gewichtige soziale Probleme ein hinreichendes und qualifiziertes Angebot vorhanden ist. Aber er muß nicht selbst tätig sein.
Spielen dabei nicht auch Eigeninteressen eine Rolle?
Natürlich ist auch ein gewisses Eigeninteresse da: Den freien Trägern werden an allen Ecken und Enden staatliche Zuschüsse gekürzt, weil das Land damit den Überhang an überflüssigen Mitarbeitern bezahlen muß. Im Zusammenhang mit der Krankenhausplanung befürchten wir, daß das Land in den nächsten Jahren Tausende von Mitarbeitern aus Krankenhäusern in den Überhang nimmt und mit dreistelligen Millionenbeträgen zusätzlich finanzieren muß.
Denken die Wohlfahrtsverbände daran, nach den Kitas und Krankenhäusern womöglich noch andere öffentlich verwaltete Bereiche zu übernehmen?
Wir fordern prinzipiell Mut zum schlanken Staat. Allerdings ist unsere Forderung nach konsequenter Entstaatlichung nicht auf Kitas und Krankenhäuser beschränkt. Es ist nicht einzusehen, daß beispielsweise Familien- und Erziehungsberatungsstellen sich in staatlicher Trägerschaft befinden. Wir könnten diese sofort übernehmen. Wir hatten dem Land in der letzten Legislaturperiode angeboten, sämtliche Kinder- und Jugendheime zu übernehmen und umzustrukturieren. Das Land hat es allerdings vorgezogen, diese Heime dem Jugendaufbauwerk zu übertragen. Mit verschiedenen Bezirken finden gegenwärtig Verhandlungen über die Übernahme von weiteren Feierabend- und Seniorenheimen statt.
Welche Kritik haben Sie am öffentlichen Versorgungssystem?
Der öffentliche Dienst mit seinen Strukturen steht inzwischen quer zu einem modernen Dienstleistungssystem. Der Bundesangestelltentarif (BAT) vergütet nach Familienstand und Lebensalter, er fördert nicht die Leistung. Der öffentliche Dienst ist hierarchisch gegliedert, hat lange Entscheidungswege und arbeitet bürokratisch. Als Teil staatlicher Verwaltung sind Krankenhäuser und Kitas meiner Auffassung nach auch zu sehr mit Politik verquickt und von politischen Vorstellungen abhängig. Das Land hat als Träger von Krankenhäusern andere Interessen, als es als Planungsbehörde verfolgen muß. Als Träger hat das Land beispielsweise das Interesse, daß möglichst viele seiner Krankenhäuser unverändert fortgeführt werden. Als Planungsbehörde muß sie angesichts der Bedarfsentwicklungen Betten abbauen und auch seine Häuser umzustrukturieren. Diese Verknüpfung führt zu schwer lösbaren Problemen.
Glauben Sie tatsächlich, daß die öffentliche Hand alle Kinder und Kranke an die Wohlfahrtsverbände abgeben wird?
Ich erkenne durchaus die Bereitschaft in der Politik, Kindertagesstätten und Krankenhäuser vollständig oder zumindest in größerem Umfange an Wohlfahrtsverbände zu übertragen. Die ersten Reaktionen machen Mut.
Warum können nach Ihrer Auffassung Freie Träger in der Tagesbetreuung Besseres leisten?
Es gibt genügend Organisationen, die mindestens genauso gut wie der Staat sind. Im öffentlichen Dienst ist es bei der Kinderbetreuung ein erhebliches Problem, daß die Wünsche und Anregungen der Eltern häufig nicht in die Arbeit miteinbezogen werden. Dies hängt vor allem damit zusammen, daß die Bezirke als Träger in allen Kitas gleiche Strukturen wollen, also keine Vielfalt zulassen. Nichtstaatliche Kitas haben größere Organisationsspielräume und mehr pädagogische Freiheit. Ich will damit nicht sagen, daß Erzieherinnen in staatlichen Kitas schlechter sind oder weniger engagiert. Es hängt ganz einfach mit den Strukturen zusammen.
Was würden die Wohlfahrtsverbände im Krankenhausbereich besser machen?
Krankenhäuser müssen sich schon jetzt viel stärker auf Patienten einstellen. Von der Atmosphäre müssen sie mehr Hotelcharakter haben und nicht aus allen Poren nach Krankenhaus riechen. Es geht außerdem darum, die bisher stark abgeschotteten Versorgungsstrukturen, also ambulante und stationäre Behandlung sowie Akutbehandlungen von Kranken mit Pflege und Rehabilitation zu verknüpfen. Da tut sich der öffentliche Bereich sehr schwer, weil es oft unterschiedliche Personalzuständigkeiten und Finanzen gibt. Bei uns spielt das keine Rolle.
Außerdem geht es natürlich ums Geld. Das Land wird angesichts der Pleite dauerhaft nicht die Investitionslasten tragen können und schon kurzfristig die Qualität der Patientenversorgung gefährden. Deshalb muß man nach neuen Konzepten suchen, wie die verschiedenen Versorgungsbereiche im Interesse der Patientenversorgung besser verzahnt und notwendige Finanzmittel sichergestellt werden können. Ich halte ein Zusammengehen des Paritätischen und der Landesbank für einen geeigneten, zukunftsträchtigen Weg.
Wie sollen die Kitas finanziert werden?
Die Liga ist bereit, die öffentlichen Kitas zu übernehmen, wenn der Staat 90 Prozent der Zuwendungen bezahlt.
Was soll mit den Mitarbeitern der Kitas und Krankenhäuser passieren? Die Wohlfahrtsverbände sprechen sich für ja für betriebsbedingte Kündigungen aus.
Wir haben als Liga gefordert, daß das Land konsequent sein Personal in der Verwaltung abbaut und die Überhangsmitarbeiter betriebsbedingt kündigt. Ich sehe es nicht ein, Steuern für Arbeitnehmer zu zahlen, die nichts mehr zu tun haben. Wenn wir Einrichtungen übernehmen, werden wir in der Regel die Mitarbeiter brauchen. Wir übernehmen also keine Einrichtungen, um sie abzuwickeln oder auszuschlachten. Wenn aber für die Patientenversorgung bestimmte Stellen nicht mehr erforderlich sind, dann wird es auf Dauer nicht möglich sein, die Stellen zu halten. Im übrigen: Auch in der geplanten Landeskrankenhausgesellschaft wird das Land betriebsbedingte Kündigungen nicht ausschließen können. Wir haben als Arbeitgeber nicht die Verpflichtung, die Menschen in einem Überhang zu halten, sondern vielmehr die Verpflichtung, mit den Mitarbeitern zusammen nach sinnvollen anderen, finanzierbaren Beschäftigungsmöglichkeiten zu suchen.
Welche Überlegungen gibt es dazu?
Bestimmte Geschäftsfelder könnten im Krankenhausbereich geöffnet werden. Zum Beispiel könnten die Krankenhäuser nicht nur Patienten aus Berlin, sondern auch aus dem Bundesgebiet oder aus dem europäischen Ausland versorgen. Die Krankenkassen überlegen ja, ob für die Berliner Bevölkerung nicht zukünftig 20.000 Betten ausreichen. Deshalb müßten zukünftig rund 8.000 Betten abgebaut werden. Hinter jedem Bett stehen zwei Mitarbeiter. Wenn wir Angebote entwickeln und zum Beispiel 4.000 Betten mit Nicht-Berliner Patienten „füllen“ würden, wäre das gut.
Wir haben in Berlin genügend hochqualifizierte Abteilungen, die sich aber häufig nur am Berliner Bedarf orientieren. Das Herzzentrum ist da eine seltene Ausnahme. Man könnte auch andere Teile von Krankenhäusern für andere Aufgaben öffnen, zum Beispiel Apotheken oder Wäschereien. Ich wette, daß dadurch ein erheblicher Teil der eigentlich abzubauenden Jobs erhalten werden könnte.
Sie werden dennoch harte Verhandlungen mit den Gewerkschaften führen müssen, falls der Paritätische die Häuser tatsächlich übernimmt.
Den Gewerkschaften geht es nur um ihre eigene Basis im öffentlichen Dienst. Eine Politik, die da heißt, es darf niemand entlassen werden, obwohl viele Arbeitsplätze nicht mehr erforderlich sind, heißt Stillstand. Das ist ein rückwärts gewandtes Konzept. Die Gewerkschaften machen es sich zu einfach. Sie überlegen nicht, wo die überflüssigen Leute sinnvoll beschäftigt werden könnten. Ich bemühe mich um ein Gespräch mit der ÖTV, nur die wollen nicht mit mir sprechen. In unseren Häusern zum Beispiel in Lichtenberg sind die Mitarbeiter froh, endlich aus dem Korsett des öffentlichen Dienstes befreit zu sein. Sie haben mehr Entscheidungsfreiheit und können mehr experimentieren. Es gibt nicht so viele bürokratische Hindernisse. Bei den Kitas beobachte ich ähnliches. Interview: Julia Naumann
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