: Aus dem Tagebuch eines Schiller-Killers
■ Der Berliner Exkultursenator Ulrich Roloff-Momin hat einen selbstgerechten Bericht vorgelegt: „Zuletzt: Kultur“
So schickt ein Fußballtrainer seinen Joker auf den grünen Rasen: „Es ist soweit, Roloff, Sie müssen ran.“ Der Trainer hieß Momper und formierte nach einer Wahlniederlage gerade seine Mannschaft für eine Große Koalition. Der Joker streifte die Trainingsjacke ab und ließ sich aufs politische Feld schicken. Zwischen Januar 1991 und Januar 1996 war der Jurist und frühere Präsident der Hochschule der Künste (HdK), Ulrich Roloff-Momin, Kultursenator zu Berlin. Die Zeitspanne ist zu kurz für Memoiren, das Feld zu unbedeutend, um nachträglich Leserneugier ernsthaft zu bannen. Streng genommen müßte es ja heißen: „Zuletzt: Kulturpolitik“. Aber interessiert sich wirklich noch jemand dafür, wie genau es zur Schließung des Schiller-Theaters gekommen ist?
Ulrich Roloff-Momins Chronologie seiner Amtszeit ist vor allem das Dokument einer großen narzißtischen Kränkung. Der Hochschulpräsident, Angehöriger der 68er Kohorte, setzte sich das ehrgeizige Ziel, die Vereinigung der Berliner Kulturen – plötzlich war ja alles vielfach da: Theater, Opern zwei Akademien der Künste etc. – nicht nur zu verwalten, sondern politisch zu gestalten. Und scheitert an der Borniertheit und Ignoranz seiner Amtskollegen, vor allem auch aus der SPD, die den Parteilosen schließlich schnöde fallenließen. Zuletzt Kultur? Wenn kurz vor dem Ende der Senatssitzungen die Kultur an die Reihe kam, „hatte man sich müde gestritten“. Daß sich Regierungsgeschäfte mittels Streitkultur erledigen lassen, darin liegt möglicherweise Roloff-Momins entscheidender Denkfehler. Wer einmal das Vergnügen hatte, einer Berliner Kulturausschußsitzung beizuwohnen, der ahnt, daß Kultur ist, was man trotzdem hat.
Der Kern der Kränkung Roloff- Momins ist datierbar. Es war der Tag, an dem die Schließung des Schiller-Theaters beschlossen wurde. Zur Beschreibung der Sparklausur des Berliner Senats in jener Nacht vom 22. auf den 23. Juni 1993 wechselt Roloff-Momin kurzerhand in das Krimi-Genre. „Die Klausur“ heißt das Kapitel frei nach John Grisham: „22. Juni 1993. Ein schöner Sommertag.“ Das Grauen betritt in Person des Finanzsenators die Bühne. „Als die Klausur fortgesetzt wurde – es war fast nach Mitternacht –, quälte mich ein ungutes Gefühl. Pieroth begann: ,Jetzt müssen wir noch einmal über die Kultur reden.‘ Nun geht es rund, schoß es mir durch den Kopf.“ Arrgh! Es ging rund. Aus der nächtlichen Sitzung ging Roloff-Momin als der Schiller-Killer hervor. Er hatte der Schließung des Theaters widerwillig zugestimmt, um auf anderem Gebiet, der Förderung von Frank Castorfs Volksbühne beispielsweise, Handlungsspielraum zu gewinnen. Roloff-Momin kommen fraglos kulturpolitische Verdienste in der Wendezeit zu. Seine Geschichte erzählt sich freilich als Rechtfertigungsbericht. Bei dem Versuch, Gutes für die Kultur zu erwirken, diktierten die Sachzwänge Unheil, und die Politikerklasse erwies sich – Überraschung – als eine Versammlung kulturfeindlicher Banausen. Als griffige Formel ist das im Satz von Bürgermeister Diepgen zu haben, der sich nicht ohne Koketterie über soviel Witzischkeit bei der Abwandlung eines historischen Bonmots vergreift. „Bei der Kultur überkommt mich ein abgrundtiefes Mißtrauen.“ Da schüttelt es den früheren Senator noch immer.
Der Reiz einer autobiographischen Schrift liegt in der Namensnennung, der Hoffnung auf ein paar Skandale. Roloff-Momin benennt seine Feinde. Finanzsenator Elmar Pieroth, Uwe Lehmann- Brauns, kulturpolitischer Sprecher der CDU, Eberhard Diepgen und andere, die als Personal einer traurigen Provinzposse zu outen es keiner intimen Aufzeichnungen eines Exkollegen bedurft hätte. Ulrich Roloff-Momin tut niemandem richtig weh, dazu ist er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Auf eine Handvoll Geständnisse folgen immer wieder selbstgerechte Resümees. Anrührend sein Bedauern, Bernhard Minetti, dem großen alten Mann des Schiller-Theaters, die Kündigung nicht persönlich mitgeteilt zu haben. Ein weiterer Fehler, vielleicht, am Berliner Ensemble eine fünfköpfige Führungsriege um Peter Zadek und Heiner Müller nach einer Lösung für das legendäre Theater suchen zu lassen. Doch bereitwillig macht die Einsicht dem Pathos Platz: „Wenn Heiner Müller nicht gestorben wäre“, sinniert Roloff-Momin, „würde man vielleicht rückblickend die Jahre 1991–1995 als notwendige Voraussetzung für den Wandel betrachten. Diese Gedanken bewegen mich heute.“
Das Inhaltsverzeichnis zu Roloff-Momins Buch liest sich fast wie das umstrittene 16-Kreise-Papier, in dem sein Amtsnachfolger Peter Radunski jeder Kunstsparte seinen Platz zuweist und nicht vergißt, ihr Hausaufgaben zum Sparen aufzugeben. „Berliner Ensemble“, „Der Fall Hochhuth“, „Die Berufung Daniel Bahrenboims“, „Tacheles“ und „Off-Theater“, der Exsenator läßt sich hier und da sogar zu eindeutigen Positionen hinreißen. Roloff-Momin sieht sich als Wehrhaften mit Kulturverständnis und milder Anarchovergangenheit im Kreis langweiliger Technokraten. Da hat er vermutlich sogar recht, in vielen Fragen zur verfahrenen Berliner Kulturpolitik sollte man ihm unbedingt Glauben schenken. Die Vision einer ganz anderen Kulturpolitik erstreckt sich bei Roloff- Momin neben einem unausgegorenen Kuratorenmodell in dem Satz, die Kultur sei zu wichtig, sie von Politikern ausdörren zu lassen. Wer in solchen Phrasen spricht, dem sollte man tatsächlich Mißtrauen entgegenbringen.
Nach getaner politischer Arbeit überkommt den Schöngeist Politikverdrossenheit. Da ist sein Nachfolger aus anderem Holz. Einer wie Radunski würde sich ohne Murren auch wieder auswechseln lassen. Joker schreiben nun einmal keine Bücher. Nach dem Spiel warten andere Aufgaben. Wenn sie in einem anderen Ressort liegen, um so besser. Harry Nutt
Ulrich Roloff-Momin: „Zuletzt: Kultur“. Aufbau Verlag, Leipzig 1997, 274 Seiten, 39,80 DM
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