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Mordprozeß um Kim aus Varel

■ Der 34jährige Buchhändler Rolf D. aus Friesland steht am kommenden Donnerstag wegen Sexualmordes an der zehnjährigen Kim vor Gericht

Oldenburg. „Da haben wir immer gedacht, Belgien ist so weit.“Mit der Erinnerung an den europaweit schockierenden Fall des Kindermörders Dutroux brachte ein Bürger der niedersächsischen Kleinstadt Varel (Kreis Friesland) im Januar Betroffenheit und Verdacht nach dem gewaltsamen Tod der zehn Jahre alten Kim auf den Punkt.

Unter der Anklage des Sexualmordes an Kim steht vom kommenden Donnerstag an der 34 Jahre alte Buchhändler Rolf Diesterweg aus Horumersiel (Kreis Friesland). Er hat das Kind nach eigenem Geständnis am 9. Januar in Varel auf offener Straße entführt, sexuell mißbraucht und im Haus der Eltern mit einem Schal erdrosselt. Eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Oldenburg muß darüber entscheiden, ob eine lebenslange Freiheitsstrafe die angemessene Sühne für das Verbrechen ist.

Verantworten muß sich Diesterweg vor dem Schwurgericht auch wegen zweier anderer Sexualtaten. Sie endeten nicht mit dem Tod der Opfer. Bereits 1991 mißbrauchte er laut Anklage einen 13 Jahre alten Jungen in Runkel an der Lahn. Fünf Monate vor dem Mord an Kim soll er in Sandkrug bei Oldenburg gleiches bei einem Elfjährigen versucht und ihn dabei schwer mißhandelt haben. Nicht für eine Anklage reichte der Verdacht, daß der Buchhändler wenige Stunden vor dem Mord an Kim versucht hat, eine 16jährige im Kreis Osterholz-Scharmbeck in sein Auto zu locken.

Die Tat, die Fahndung und die Trauer um das Opfer weckten im Januar weite öffentliche Anteilnahme und die Bereitschaft zur Hilfe bei der Suche nach dem Mörder. Republikweit konzentrierte sich die Suche eine Woche lang auf einen gestohlen gemeldeten Luxus-BMW. Das Entführungsauto erwies sich am Ende als Mazda-Modell. Als Fahrer und Täter wurde am 15. Januar Rolf Diesterweg in Horumersiel festgenommen.

Dabei stellte sich heraus, daß Diesterweg kein unbeschriebenes Blatt war: Am 7. Januar 1979 hatte er als Jugendlicher mit einem Schal die zwölf Jahre alte Sylke aus Horumersiel erdrosselt. Wegen Totschlags wurde er dafür vom Landgericht Oldenburg zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. Nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe wurde der Täter aus der Jugendanstalt Hameln entlassen.

Bei der öffentlichen Trauer um Kim wurde auch der Ruf nach härteren Strafen laut. Der Vorsitzende der CDU in Niedersachsen, Christian Wulff, nahm den Mordfall zum Anlaß, der SPD-geführten Landesregierung schwere Vorwürfe zu machen. Sie betreibe Strafvollzug nach dem Motto „Täter verwöhnen, Opfer verhöhnen“, behauptete er. Landesjustizministerin Heidi Alm-Merk (SPD) wies die Vorwürfe gegen die niedersächsische Justiz als haltlos zurück. In Bayern hatte zuvor ein entlassener Sexualstraftäter ebenfalls einen Mord an einem Kind begangen.

Das erste Sexualstrafverfahren gegen Diesterweg im Jahr 1981 fand mit Rücksicht auf schutzwürdige Belange von Opfer, Täter und anderen Beteiligten unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Auch für das anstehende Verfahren wird mit einem Ausschluß der Öffentlichkeit gerechnet. Die Verteidigung Diesterwegs hat bereits vor Beginn der Hauptverhandlung einen entsprechenden Antrag angekündigt. Dabei ist das Interesse der Öffentlichkeit erheblich.

Mit einer Rüge verurteilte der Deutsche Presserat einen Teil der Berichterstattung zum Fall Diesterweg. Nach einem Interview mit dem Untersuchungshäftling veröffentlichte eine Illustrierte Einzelheiten der Tat aus Sicht des Täters. Damit, so die Kritik, wurden die schutzwürdigen Interessen des Opfers verletzt.

Manfred Protze, dpa

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