: Für Polizisten soll der Kunde König sein
■ Jedem ausgeraubten Bürger seinen Polizisten: Reviere sollen Akten nicht einfach an die Zentrale weiterschieben / Polizeireform soll ausgedehnt werden / Modellversuch erfolgreich
Ihr Autoradio wurde geklaut? Bislang nimmt ihr Polizeirevier zwar den Diebstahl auf, leitet dieAkte jedoch an die Kripo weiter. Bis zu fünf Instanzen können sich mit der Geschichte beschäftigen, bevor die Akte geschlossen wird. Mit der Polizeireform soll sich das ändern: Zukünftig soll nur noch ein Polizist direkt vor Ort zuständig sein. Davon verspricht man sich bessere Aufklärungsraten, mehr Bürgernähe und mehr Flexibilität.
Im „Modellversuch West“wird derzeit die Neuorganisation der Polizei geprobt. Jetzt sieht alles danach aus, als ob der Modellversuch auf weitere Teile der Stadt ausgeweitet wird. Der „Lenkungsausschuß zur Polizeireform“wird heute über den Abschlußbericht beraten und eine Empfehlung an den zuständigen Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) abgeben.
Zwischen September 1996 und August 1997 waren die drei Polizeireviere Walle, Gröpelingen und Oslebshausen organisatorisch zu einer „Polizeiinspektion West“zusammengefasst worden. Das „Modellprojekt West“ist Teil der großen Polizeireform, die seit letztem Herbst vom Innensenator geplant wird. Der Vorgänger Bortschellers, Friedrich van Nispen (FDP), war mit dem Versuch einer Polizeireform gescheitert.
Der Modellversuch setzt unter anderem auf die verstärkte Präsenz von Kontaktbereichsbeamten in der Öffentlichkeit. Außerdem soll der Beamte, der einen Fall übernimmt, diesen möglichst auch bis zum Ende betreuen – und nicht einfach die Akte zur nächsten Instanz weiterschieben. Jetzt werden nicht nur „einfache“sondern auch „mittlere“kriminelle Vergehen wie Wohnungseinbruch oder Diebstahl vor Ort behandelt. „Früher haben wir 35 Prozent der Fälle, die hier angezeigt wurden, bis zum Schluß betreut“, sagt Rainer Zottmann, Leiter der neuen Inspektion. „Heute sind es 86 Prozent“. Die Mitarbeiter stünden hinter dem neuen Konzept.
Langfristig sollen Polizeireviere zu eigenständigen „Cost-Centers“mit „selbstständigen Kapitänen“werden, erläutert Holger Münch, der Sprecher des Modellversuchs. Der Bürger soll in Zukunft eher als „Kunde und Partner“denn als „Bittsteller“gesehen werden.
„Wenn sich Beamte nicht mehr hinter ihrem Schreibtisch verschanzen, begrüßen wir das“, sagt Reinhard Engel, der für die Grünen in der Innendeputation sitzt. „Was hier passiert, sind längst überfällige Strukturreformen“. Kritisiert wird lediglich, daß die Reformen erst jetzt ins Rollen kommen.
In Niedersachsen sind viele der Reformen schon Realität. Erst gestern beschloß dort die Polizei, noch mehr Kontaktbereichsbeamte auf die Straße zu schicken. Gleichzeitig forderte die Gewekschaft der Polizei, die Reformen „schneller und konsequenter“durchzusetzen. Die Grünen bemängeln vor allem, daß die Inhalte bei der Polizeireform zu kurz gekommen seien. „Bei der Demokratisierung des inneren Gefüges läuft zu wenig“, sagt Silke Stoker, Landtagsabgeordnete. Ziel sei es auch, die soziale Kompetenz des Polizisten zu steigern, und das fordere eine andere Ausbildung. Die Hierarchie sei immer noch zu militärisch aufgeteilt in Befehlsempfänger und -geber.
In Bremen beschäftigen sich acht Projektteams mit den Reformen. Sie betreuen den Modellversuch oder andere Themen wie Budgetierung, Ausbildung, Personalentwicklung oder Öffentlichkeitsarbeit. Im nächsten Oktober sollen alle Teams ihre Ergebnisse vorgelegt haben. Christoph Dowe
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