Wildgewordener Polizist schlug um sich

■ Schmerzensgeld erstritten Opfer eines Polizeibeamten bei Silvesterkrawallen vor Gericht / Polizeipräsident Lüken hatte Entschädigung verweigert / Richter: Die Stadt haftet dafür

Die Worte des Richters waren deutlich: Die Klägerin, eine 31jährige Studentin, sei offenbar das Opfer eines „wildgewordenen Polizeibeamten“geworden. Das Gericht hätte „keinen Zweifel“daran, daß der Polizist, der laut Zeugenaussagen in der Silvesternacht 1994/95 in einem Imbiß an der Sielwallkreuzung mit einem Schlagstock um sich geschlagen hätte, die Klägerin getroffen und sie dabei am Handgelenk verletzt habe. „Dieser Schlag war ungerechtfertigt“, sagte Richter Jürgen Berger gestern in dem Zivilprozeß der Studentin, die die Stadt Bremen vor dem Landgericht auf Schmerzensgeld in Höhe von 3.000 Mark verklagt hatte.

Die deutlichen Worte des Richters waren ein klares Signal an den Vertreter der Stadt, der Polizeipräsident Rolf Lüken repräsentierte, sich endlich mit der Geschädigten zu einigen. Zweieinhalb Jahre hatte die Frau um ihre Entschädigung gekämpft. Gestern schloß sie mit der Stadt Bremen einen Vergleich. Sie bekommt 2.500 Mark Schmerzensgeld. Die Stadt zahlt die Kosten des Verfahrens. Außerdem will die Stadt an drei weitere Geschädigte, die auch bei dem Einsatz verletzt worden waren, ebenfalls Schmerzensgeld zahlen.

„Wie in einem Karate-Film“sei der Polizist in der Silvesternacht zur Tür des Imbisses hereingesprungen und habe mit dem Schlagstock wild auf die Gäste eingeprügelt, erinnerte sich die Klägerin gestern: „Alle hielten ihre Hände über die Köpfe. Panik brach aus.“„Es war wie in einem schlechten Kamikaze-Film“, bestätigte eine Zeugin. Die Klägerin, deren Handgelenk durch den Schlag angebrochen wurde und eingegipst werden mußte, erstattete Anzeige.

Doch das Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft „beklagenswert wenig vorangetrieben“, stellte Richter Berger gestern fest. Erst die Innenrevision der Polizei habe „ordentliche Arbeit geleistet“, lobte selbst der Anwalt der Klägerin, Reinhard Engel. Die Innenrevision ließ die Spinde und die Wohnung von zwei verdächtigen Polizeibeamten durchsuchen. Doch auch anhand von Lichtbildern konnte der Polizist nicht identifiziert werden. Der Anwalt der Klägerin versuchte daraufhin, Polizeipräsident Lüken dazu zu bewegen, sich außergerichtlich mit den Geschädigten zu einigen und ihnen Schmerzensgeld zu zahlen. Lüken lehnte ab. „Es gibt eine grundsätzliche Haftung der Stadt“, stellte Richter Berger gestern hingegen klar. Schließlich sei der „rechtswidrige Einsatz“des Polizisten während der Räumungsaktion auf der Sielwallkreuzung geschehen.

Der Vertreter der Stadt hatte den Ausführungen des Richters gestern wenig entgegenzusetzen. 3.000 Mark sei zu viel Schmerzensgeld, wagte er den zaghaften Versuch einer Schadensbegrenzung. „Das sehe ich nicht so“, widersprach Richter Berger. Auf 500 Mark käme es sicherlich nicht an, aber hier ginge es immerhin um einen schlagenden Polizeibeamten. Nur weil der Schläger ein Polizist gewesen sei, dürfe sich das Schmerzensgeld nicht automatisch erhöhen, erwiderte Lükens Vertreter. „Das würde ich schon so sehen“, konterte Berger. Polizisten seien dem Gesetz in besonderem Maße verpflichtet. Dem hatte der Vertreter Lükens nichts hinzuzufügen. Er schloß einen Vergleich mit dem Opfer. Es blieb ihm allerdings auch nichts anderes übrig. Berger – der seine Rechtsauffassung in deutliche Worte gefaßt hatte – hätte die Stadt ansonsten zur Zahlung des Schmerzensgeldes verurteilt.

kes