: ABM-„Anschlag“ auf das Rote Rathaus
■ Zum zehnjährigen Jubiläum protestierte der ABM-Verband A3 gegen öffentliche Sparwut
Thesenanschlag der besonderen Art: In einer Blitzaktion zum Reformationstag brachten gestern VertreterInnen des Dachverbands der ABM-Träger, A3, „neuneinhalb Beschäftigungsthesen“ an der Tür des Roten Rathauses an. Die wachhabenden Polizisten blickten irritiert. Unbeeindruckt vom Wortlaut riß jedoch die Pförtnerin die Schriftrolle kurzerhand von der Pforte des öffentlichen Hauses. Vielleicht war These acht Auslöser der resoluten Reaktion: „Berliner Arbeitslosigkeit: vom Senat teilweise hausgemacht“.
Hintergrund des kurzen Rathaus-Intermezzos: A3 und seine verbundenen 29 ABM-Gesellschaften feiern zehnjähriges Bestehen. Der Geburtstag lieferte Stoff für Kontroversen. Beim Symposium im frisch eröffneten Karl- Philipp-Moritz-Haus am Moritzplatz schlug Professor Bernd Reissert von der FH für Technik und Wirtschaft vor, auch sanften Druck auf Sozialhilfeempfänger auszuüben, um sie zur Annahme von akzeptablen Jobs zu bewegen. Damit stieß er allerdings auf Ablehnung. Reissert nahm dabei das „schwedische Modell“ als Vorbild, das auch bei den hiesigen ArbeitsmarktstrategInnen akzeptiert sei. Berlin erlebe seit 1992 eine Rezession, die der Stadt einen fast fünfprozentigen Anstieg der Arbeitslosigkeit seit der Vereinigung bescherte.
Die ABM-StrategInnen, zu neunzig Prozent Frauen, schilderten jedoch ihre Praxis: Die Beschäftigungswilligen stehen bei den ABM-Gesellschaften Schlange und müssen wegen fehlender Mittel abgewiesen werden. Martina Schmidhofer, Sozialstadträtin in Wilmersdorf, ärgerte sich hingegen, daß sie nicht genügend fachbezogene Arbeitssuchende finde, um vorhandene Gelder zu verteilen. Sabine Bohle von A3 konterte: „Dann gebt uns doch das Geld, wir können es gebrauchen.“
Wohl wahr: A3 zufolge wird der Haushalt der Arbeitsverwaltung von 1996 bis 1998 um 200 Millionen Mark zusammengestrichen. In nur drei Jahren wurden in der Stadt bis heute 16.000 ABM- und Weiterbildungsstellen gekürzt. Der grüne Abgeordnete Michael Haberkorn schilderte den Bedarf an öffentlich finanzierten Arbeitsplätzen und der Versorung für dringende soziale Dienstleistungen in den Bezirken: „Wenn ich durch den Kiez gehe, frage ich mich, wo eigentlich die ganzen Rollstuhlfahrer sind. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die alle zu Hause sitzen wollen.“ sen
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