: Geschäfte aus dem Gashahn
■ Erdgas könnte die Nummer 1 auf dem milliardenschweren Energiemarkt werden. Die Vorräte reichen noch für mindestens 70 Jahre. Privathaushalte nutzen mehr Gas als Öl. Auch Großkraftwerke werden zunehmend mit Gas be
„Erdgas ist schon eine sehr saubere Sache.“ Jörg Christiansen von der „Arbeitsgemeinschaft für sparsamen und umweltfreundlichen Energieverbrauch“ in Essen betrachtet recht wohlwollend den schon seit einigen Jahren – wenn auch im Stillen – herrschenden Wettkampf zwischen Erdgas und leichtem Heizöl.
Gewinnen kann nur einer. Und derzeit sieht es aus, als habe Erdgas die besseren Karten. „Unter Umweltgesichtspunkten ist es vernünftig, daß Erdgas das leichte Heizöl verdrängt“, findet Christiansen. Dafür spricht: Beim Verbrennen entsteht so gut wie kein Schwefeldioxid, kein Ruß, es bleiben keine festen Rückstände, es wird nicht über die Straße transportiert, sondern durch die Leitung gejagt –, und auch der CO2-Ausstoß ist bei der Verbrennung geringer. Es ist ein fossiler Brennstoff und doch selbst für Umweltschützer mehr als nur „das kleinere Übel“. Es entlastet die Umwelt und schont darüber hinaus den Geldbeutel: Erdgas scheint mithin fast alle Voraussetzungen zu haben, die Nummer eins auf dem milliardenschweren Energiemarkt zu werden.
Wenn schon fossil, dann doch bitte Erdgas – der Umwelt zuliebe: Diese Marketingstrategie, die die beiden großen Erdgasimporteure in Deutschland, die Ruhrgas AG in Essen und die Wintershall AG in Kassel, gemeinsam mit ihren jeweiligen Regionalpartnern seit Anfang der 90er Jahre fahren, scheint sich in den Köpfen der Bundesbürger erfolgreich einzunisten. Im Haushaltsbereich beispielsweise hat Erdgas den Energieträger Öl bereits überrundet: Rund 39 Prozent aller Wohnungen in Deutschland hatten laut Ruhrgas AG einen Anschluß, mit Öl heizen rund 34 Prozent.
Insgesamt rund 22 Prozent beträgt derzeit der Anteil von Erdgas am Primärenergieverbrauch in Deutschland, rund 85 Milliarden Kubikmeter wurden hier im vergangenen Jahr verbraucht. Tendenz steigend, denn immer mehr Kraftwerke werden mit Erdgas befeuert. Kraft-Wärme-Kopplung heißt die Losung: Erst im September wurde in Berlin ein mit Erdgas befeuertes Kraftwerk in Betrieb genommen – es wird unter anderem das neue Regierungsviertel versorgen –, das sowohl in der Heizleistung als auch in der elektrischen Leistung jeweils 380 Megawatt erreichen soll. Mit diesem Kraftwerk kann das Berliner Energieversorgungsunternehmen Bewag etwa 10 Prozent des Strombedarfs der Hauptstadt decken und rund 60.000 Wohnungen mit Fernwärme heizen.
Doch nicht nur der grüne Mantel hilft Erdgas beim Durchbruch – Haushalte können auch einen Spareffekt erleben. Zumindest dann, wenn man Erdöl und Erdgas hinsichtlich der sogenannten „Vollkosten“ miteinander vergleicht. Nimmt man alle Ausgaben von der Tankfüllung mit Heizöl, über Tankreinigung, Modernisierung des Brenners bis hin zum jährlichen Besuch des Schornsteinfegers, ergeben sich nach Berechnungen der Ruhrgas AG für ein freistehendes Einfamilienhaus bei einer Ölheizung jährliche Kosten von durchschnittlich 3.950 Mark, bei Fernwärme von 4.113 Mark und bei Erdgas von 3.310 Mark. Der günstige Vollkostenvergleich, dämpft Jörg Christiansen, gelte jedoch hauptsächlich für dichtbesiedelte Gebiete. So würden in Nordrhein-Westfalen rund 90 Prozent aller Neubauten an das Erdgasleitungsnetz angeschlossen, in Bayern dagegen seien es nur rund 50 Prozent – für die Unternehmen werde das Leitungsnetz bei relativ weit auseinanderliegenden Ortschaften schlicht zu teuer.
Nur rund 20 Prozent des Bedarfs in Deutschland kann aus heimischen Feldern gedeckt werden, 28 Prozent kommen aus den Niederlanden, 33 Prozent werden aus Rußland importiert, 17 Prozent aus Norwegen und zwei Prozent aus Dänemark. Im kommenden Jahr wird auch Erdgas aus Großbritannien eingeführt. Daß der unsichtbare Energieträger so schnell ausgehen könnte, daran glauben natürlich weder Wintershall noch Ruhrgas. Wintershall, einst von der BASF als Vermarkter des eigenen Gasbedarfs gegründet, bedrängt den einstigen Gasimportmonopolisten Ruhrgas vor allem durch sein Joint venture mit der russischen Gazprom.
Nach der statistischen Reichweite, die auf allen sicher bekannten und förderbaren Vorräte in Relation zum Weltverbrauch beruht, reichen die weltweiten Erdgasvorräte noch mindestens 70 Jahre (Erdöl 45 Jahre), für weitere 100 Jahre soll es noch Vorkommen geben, die derzeit – weil technisch zu aufwendig – nicht ausgebeutet werden (Erdöl 115 Jahre). „Bislang wurden jedes Jahr neue Reserven entdeckt, so daß weltweit in den letzten Jahren die Reserven angestiegen sind – trotz höherer Förderung“, betont Wintershall. Derzeit werden rund 25 Prozent des weltweiten Energiebedarfs durch Erdgas gedeckt, bis zum Jahr 2010 sollen weitere 25 Prozent hinzukommen. Das Geschäft aus dem Gashahn wird also noch richtig aufgedreht. Ralf Ansorge
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