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Ärger mit den Ahnen

■ Versammlung des FC St. Pauli: Keine Abstimmung über Änderung des Stadionnamens, statt dessen Prüfgremium

Harald Stender war außer sich: „Es ist eine Gemeinheit, über Wilhelm Koch herzuziehen“, verteidigte das Mitglied des „Wunderteams“von 1948 den Ex-Präsidenten des FC St. Pauli, der den Verein nach dem Krieg nach oben geführt habe. „Wie alles im Eimer war, da mußte man aufbauen“, erinnerte sich das langgediente Mitglied vergangenen Freitag auf der Jahreshauptversammlung im Congress Centrum.

Die Mitglieder vom „Alten Stamm“hatte Stender, der Kochs „menschliche Seite“zeigen wollte, auf seiner Seite. Mit der etwa einstündigen Debatte um die NS-Vergangenheit des ehemaligen Vereinschefs und die vom 39jährigen Mitglied Ronny Galczynski geforderte Stadion-Umbenennung konnte sich allerdings nicht jeder anfreunden. „Wir sind ein Fußballclub und wollen keine Ahnenforschung“, rief ein älteres Vereinsmitglied während der Diskussion dazwischen. Ein anderes trat nach der Veranstaltung auf Antragsteller Galczynski zu und meinte: „Leute wie Sie brauchen wir nicht im Verein. Wenn wir mehr Alte gewesen wären, hätten wir Sie aus dem Saal geschrien.“

Die Gemüter waren erregt. Das Präsidium schwieg. Als einziger hochrangiger St.-Pauli-Funktionär nahm der Aufsichtsrats-Vorsitzende Hans Apel inhaltlich Stellung. Mit der Ankündigung „Ich weiß heute, wie es wahrscheinlich wirklich war“plädierte Apel gegen die Umbenennung und verlas ein Schreiben der Töchter Kochs, in dem diese auf den rechtmäßigen Erwerb des jüdischen Geschäfts 1933 durch ihren Vater verwiesen. Ein Enkel Wihelm Kochs betonte, daß ein Anteil des Firmengewinns an die nach Schweden emigrierten Voreigentümer überwiesen worden sei.

Kochs 1937 erfolgter Eintritt in die NSDAP wurde mit der Sorge um Wohl und Wehe des Vereins begründet: Koch, so Apel, „hatte nur die Wahl, den Vereinsvorsitz abzugeben oder, auch im Interesse des Vereins, in die Nazi-Partei einzutreten“. Zudem seien die Nazis 1937 „auch international sehr beliebt“gewesen.

Aufgrund seiner Befangenheit wurde Apel nach dem Plädoyer für die Antragsablehnung als Versammlungsleiter abgelöst. Da sich im Verlauf der Diskussion keine klare Mehrheit für oder gegen den Antrag abzeichnete, der Konflikt zu eskalieren drohte, nahm die Versammlung gerne und mit großer Mehrheit den Vorschlag des FC-Mitglieds und Altonaer GAL-Abgeordneten Olaf Wuttke an: Er schlug die Einrichtung einer Prüfungskommission vor, die den Vorwürfen gegen Koch nachgehen soll. Für das Gremium sollen die Hamburger Historikerin Ina Lorenz und Mitglieder der Jüdischen Gemeinde gewonnen werden.

Die Entscheidung, auf die Abstimmung seines Antrags zu verzichten, sei „in dieser Situation das einzig Richtige“gewesen, erklärte Galczynski am Tag nach der Wahl. „Inhaltlich begründet war mein Entschluß nicht.“Hans Apel, der während der Versammlung über eine mögliche Mehrheit zur Änderung des Stadionnamens spekuliert hatte, war's zufrieden: „Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen.“ Folke Havekost

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