: Zusatzentschädigung gibt es nicht
NS-Zwangsarbeiter erhalten keine Entschädigung für entgangenen Lohn, weil sie schon Ausgleich bekommen hatten ■ Von Christian Rath
Freiburg (taz) – NS-ZwangsarbeiterInnen werden für den entgangenen Lohn nicht entschädigt, wenn sie von der Bundesrepublik bereits andere Entschädigungszahlungen erhalten haben. Dies entschied gestern das Bonner Landgericht in einem Musterprozeß von 22 KlägerInnen. Nur eine Frau hatte mit ihrer Klage Erfolg und erhält rund 15.000 Mark von der Bundesrepublik.
Die Kläger waren zur Zeit des Zweiten Weltkriegs polnische und ungarische Staatsangehörige. Als Juden waren sie in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt worden. Dort wurden sie zwischen September 1943 und Januar 1945 auf Anordnung der SS an die Firma Weichsel Metall Union für Arbeiten in einem nahe gelegenen Munitionswerk abgestellt. Das Unternehmen zahlte der SS für alle Zwangsarbeiter ein Entgelt, die Arbeitssklaven sahen hiervon allerdings keinen Pfennig.
Seit 1985 kämpfte der Bremer Beamte Klaus von Münchhausen, dessen Mutter in Auschwitz umgekommen war, für die Entschädigung der KlägerInnen. Er hatte sie bei einem Auschwitz-Gedenktag in Tel Aviv kennengelernt. Zuerst versuchte der Bremer von einer Nachfolgefirma der Metall Union die Lohnnachzahlung zu erreichen. Diese jedoch sah sich nicht als „Rechtsnachfolgerin“. Deshalb zog Münchhausen 1992 vor das Landgericht Bonn und reichte eine Amtshaftungsklage gegen die Bundesrepublik ein.
Das Bonner Gericht war zuerst auch durchaus bereit, den ehemaligen Zwangsarbeitern zu helfen. Es sah aber völkerrechtliche Probleme, denn es ist eigentlich unüblich, daß sich fremde Staatsbürger direkt an einen anderen Staat wenden und dies nicht über ihre Regierung tun. Doch gab das um Rat gebetene Bundesverfassungsgericht dem Landgericht im Juli letzten Jahres freie Hand, das Völkerrecht selbst auszulegen.
In seinem völkerrechtlichen Teil ist das gestern verkündete Urteil sogar recht fortschrittlich geraten. So können nach Ansicht des Bonner Landgerichts auch ausländische Einzelpersonen von der Bundesrepublik Schadensersatz für NS-Unrecht verlangen. Sie müssen sich dabei nicht einmal einen Verzicht entgegenhalten lassen, den ihre Regierungen ausgesprochen haben. Daß die Klagen dennoch fast durchgängig scheiterten, hatte einen anderen Grund. Im Lauf der Verhandlung war im Bundesfinanzministerium herausgefunden worden, daß fast alle Kläger bereits Zahlungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) erhalten haben, sie also nicht wie vorgetragen durch alle Maschen des deutschen Entschädigungsrechts gefallen waren.
Nur eine Klägerin, die erst 1968 den kommunistischen Machtbereich Richtung Israel verlassen konnte, war bei der BEG-Entschädigung mit ihren komplizierten Fristen leer ausgegangen. Sie bekommt nun für 55 Wochen Zwangsarbeit 15.000 Mark plus Zinsen für die Zeit ab der Klageerhebung.
Für alle anderen Kläger gilt eine Regelung des BEG, wonach Ansprüche gegen den Bund wegen erlittener NS-Verfolgung nur nach diesem Gesetz geltend gemacht werden können. Der Kammervorsitzende Heinz Sonnenberger regte in der Urteilsbegründung eine Gesetzesänderung an, um die Zwangsarbeiter dennoch angemessen zu entschädigen.
Auf den Gesetzgeber will Klaus von Münchhausen allerdings nicht warten. Seiner Ansicht nach hat das Landgericht das BEG falsch ausgelegt. Er argumentiert, daß durch das BEG nur erlittene Haft und Gesundheitsbeeinträchtigungen entschädigt werden, nicht jedoch entgangener Arbeitslohn ersetzt wird. Er kündigte umgehend an, daß er in Berufung am Oberlandesgericht Köln gehen werde. Möglicherweise legt aber auch die Bundesregierung Rechtsmittel gegen das Bonner Urteil ein. Denn in seinem völkerrechtlichen Teil hat es die Positionen der Bundesregierung fast durchweg verworfen (Az. 1 O 134/92). Ein weiteres Musterverfahren von ehemaligen Zwangsarbeitern wird demnächst am Landgericht Bremen entschieden.
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