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Telefonieren im Müllhaufen

Vom absurden Überleben in einer zerstörten Stadt  ■ Aus Mogadischu Andrea König

Die Hitze flimmert über der Landebahn, das Meer am Ende der Piste läßt sich bloß erahnen. Ein Hund trottet müde in der Sonne den Flughafengebäuden entgegen, aus denen Palmen wachsen. Daneben steht der Tower, ohne Kopf oder Treppen.

In den Ruinen der Flughafenverwaltung sind zwei umgerüstete Jeeps in Tarnfarbe geparkt, die dazugehörenden Milizionäre ruhen kauend im Schatten. Außer ihren Kiefern bewegt sich nichts. Es ist drei Uhr nachmittags, „Khat“-Zeit in Mogadischu. Khat, eine Pflanze, die als Rauschmittel gebraucht und in den heißesten Stunden des Tages genossen wird, ist den Somali heilig. Auf den weißen Mauern der zerfallenden Lagerhäuser zeugen Schriftzüge von der jüngeren Geschichte dieses Flughafens: „Mission Support Team – The Vanguard of Global Peace“ steht drauf: Vorhut für Globalen Frieden.

Vor vier Jahren glich der Flughafen von Mogadischu noch einem Ameisenhaufen. „Restore Hope“ hieß die US-amerikanische Militäroperation in Somalia, die der zweiten UN-Mission den Weg bahnen sollte, um die Somali aus Chaos und Hunger zu führen.

Pluralismus: Jedem Warlord sein Hafen

Heute wird der Flughafen bloß noch bewacht. Milizionäre stellen sicher, daß sich kein Unbefugter hierher verirrt. Am offiziellen Eingang steht einsam und eigentlich sinnlos ein Polizist in Uniform und grüßt die seltenen Besucher.

Hussein Aidid, Sohn des verstorbenen, von den USA gefürchteten Kriegsherren Farah Aidid und einer der beiden selbsternannten Präsidenten Somalias, hat sich jetzt persönlich dafür verbürgt, der UNO den Flughafen und auch den stillgelegten Hafen Mogadischus zugänglich zu machen. Der UN- Koordinator für Somalia, Dominik Langenbacher, wertet dies als Erfolg für die UNO und als Zeichen, daß Aidid Kontrolle ausübt. Bisher war der UNO der Zutritt zu den beiden stategischen Orten in Süd-Mogadischu verwehrt. „Noch schöner wäre es, es gäbe einmal eine Polizei und eine Stadtverwaltung“, sagt er. Der UNO-Koordinator ist der Meinung, ohne Lösung in der Hauptstadt könne auch Somalia als Ganzes keinen Frieden finden.

Im Hafenbecken räkeln sich zwei Männer in einem bunten Gummiboot. Sonst gähnt auch hier nichts als Leere. „Dabei haben wir in einer Bank in Nairobi auf einem Konto eine Million Dollar deponiert, die die Somali mit dem Hafen noch unter Unosom erwirtschafteten“, sagt Langenbacher kopfschüttelnd: „Wir könnten mit diesem Geld den Hafen sofort wieder operationell machen.“ Während dieser in Aidids Herrschaftsgebiet liegende Hafen, der eigentliche Hafen von Mogadischu, ungenutzt bleibt, betreibt der Kriegsfürst Ali Mahdi in dem von ihm beherrschten Norden der somalischen Hauptstadt einen Naturhafen, 20 Kilometer südlich von Mogadischu wird ein weiterer Hafen vom ehemaligen Aidid-Verbündeten Osman Ato genutzt, und Aidid selber nutzt den Hafen von Marka, rund 100 Kilometer weiter südlich. „Der gemeinsame Betrieb der Infrastruktur in Mogadischu ist nur möglich, wenn die Somali selbst einen völlig ausbalancierten Schlüssel zur Aufteilung der Einkünfte unter den Clans finden“, meint Langenbacher, „und dazu müßten sie ernsthaft zusammensitzen.“

Es liegt nicht am mangelnden guten Willen der Somali, daß ihre Infrastruktur zusammengebrochen ist. Vielmehr verhindert die Machtgier der Warlord-Politiker eine gemeinsame Verwaltung für Mogadischu. Hussein Aidid zum Beispiel streitet im Gespräch ab, daß Mogadischu geteilt sei: „Es stimmt nicht, daß wir zwei Regierungen in Mogadischu haben. Es gibt nur eine Regierung und Verwaltung. Wir sind dabei, uns mit Ali Mahdi zu versöhnen.“ Der 28jährige im eleganten schwarzen Zweireiher, an dessen Revers ein Somalia-Pin steckt, sitzt vor der somalischen Flagge, die übergroß an die Wand gepinselt ist in der „Villa Somalia“, wo einst der Diktator Siad Barre Hof hielt. Aidid läßt keinen Zweifel daran, daß die „eine Regierung“ der Stadt seine eigene ist.

Der junge Aidid erweckt den Eindruck, als ob er sich noch ausprobieren müßte. Im Gespräch mit dem UNO-Botschafter ist er immer wieder auf die Hilfe seines Innenministers angewiesen. Noch hat er nicht das Kaliber seines vor einem Jahr verstorbenen Vaters, dem skrupellosen Kriegsherrn und Politiker Mohammed Farah Aidid. Aber eloquent ist er: „Die Welt hat Somalia nicht verstanden“, erklärt er. „Wir vertrieben einen Diktator und wollten Demokratie. Aber die USA haben sich Somalia ausgesucht, um ihre neue Weltordnung auszuprobieren. Sie waren schlecht beraten und hatten keine Ahnung, was Somalia überhaupt ist.“ Nun sei Somalia die internationale Einmischung durch den Abzug der UN-Truppen im Frühjahr 1995 losgeworden, aber neue Probleme seien aufgetaucht: „Die Äthiopier verfolgen ihre eigenen Interessen in unserem Land. Mit ihren Konferenzen wollen sie sich nun als Friedensstifter aufspielen. Aber auch diese regionale Einmischung können wir nicht akzeptieren.“ Zur Zeit bereiten sich die verschiedenen Clans auf eine nationale Konferenz in der nordostsomalischen Hafenstadt Bosasso vor. Wer daran überhaupt teilnehmen wird, steht in den Sternen.

Die Zersplitterung und Aufteilung Mogadischus hindert die Somali aber nicht daran, normal zu leben. Barakaat, situiert in einem fünfstöckigen Gebäude im Geschäftszentrum der Stadt, ist eines von zwei großen Telekommunikationsunternehmen in Mogadischu und eine der Lebensadern der Stadt. Hier laufen unter Herrschaft Aidids die Fäden der lokalen Wirtschaft zusammen. Wer die Halle betritt, wird professionell auf Waffen abgesucht. Die sechs Telefonkabinen bei Barakaat sind alle besetzt, somalische Händler fuchteln mit den Händen und schreien in die Hörer. Ein Dollar fünfzig kostet die Minute ins Ausland. Am Schaltpult hinter Glas sind die beiden Operateure voll beschäftigt, die Gesprächsbelege auszudrucken und neue Gespräche anzunehmen. An der Wand zeigen vier Uhren die Zeit in Mogadischu, Rom, Dubai und New York.

Das Telefonunternehmen expandiert und will in den nächsten Monaten auch andere somalische Städte an sein Netz anschließen. Um seine Satellitenantennen betreiben zu können, hat das Unternehmen Generatoren gekauft und versorgt nun gleich die Nachbarschaft mit Strom. 30 Cents kostet ein Anschluß für einen normalen Haushalt am Tag. Wer bügeln will oder einen Kühlschrank besitzt, bezahlt mehr. Auf der gegenüberliegenden Seite des Barakaat-Gebäudes verkauft eine Somalierin Fruchtsäfte – eisgekühlt mit Strom von Barakaat. „Wir haben zum Glück solche Unternehmen, die uns helfen zu überleben“, sagt sie. „Denn wie sollten wir sonst leben? Es gibt keinen Staat, keine Administration, keinen Strom und kein fließendes Wasser.“

Immer mehr reiche Leute kaufen sich Generatoren und verdienen Geld hinzu, indem sie Strom an Nachbarn verkaufen. Nachts sind daher die Straßen in Mogadischu beleuchtet wie sonst kaum in einer afrikanischen Stadt. Im sogenannten „Elman-Center“, eine der vielen Privatschulen Mogadischus, werden Männer als Elektriker und Mechaniker ausgebildet – zwei Berufssparten, die in Mogadischu Zukunft haben.

Karriere: Vom Milizionär zum Ehemann

In der Schule des „Elman-Centre“ spielen junge Frauen mit verhülltem Kopf und in langen, bunten Gewändern Volleyball, junge Männer üben in weißen T-Shirts mit dem Aufdruck „Elman-Sports for Peace 1997“ Basketball. An den Wänden des Gebäudes hängen Transparente mit Slogans wie „Put the Gun Pick the Pen – Tausche die Knarre gegen die Feder“ oder „Wir handeln alle für eine Gemeinschaft.“ Der Schulleiter, Sudan Ali Ahmed, erklärt sein Vorgehen: „Wir haben einen Tauschhandel begonnen: Wer freiwillig seine Waffe niederlegt, erhält bei uns gratis eine Ausbildung. Nach sechs Monaten sind die jungen Männer so weit, daß sie ohne Waffe überleben können. Dann nämlich haben sie einen Beruf.“

Ein Somali, der gerade dabei ist, einen Generator zu reparieren, erzählt, er habe 1992 seine Waffe an Projektgründer Elman übergeben und dafür eine Ausbildung erhalten: „Dann konnte ich heiraten, denn jetzt habe ich ein anständiges Einkommen und muß nicht mehr plündern.“ Frauen und Mädchen erhalten auch eine Ausbildung – gegen Bezahlung.

Wer sich eine Privatschule in Mogadischu nicht leisten kann, hat das Nachsehen: Öffentliche Schulen gibt es nicht. „Hinter unseren Aktivitäten steckt ein einziges Ziel: Ausbildung zu ermöglichen und allmählich eine Generation von Menschen zu schaffen, die einsieht, daß die Waffe in der Hand unsere Probleme nicht löst“, sagt Schulleiter Ahmed. „Was wir brauchen, ist eine Regierung, Gesetz und Ordnung. Der momentane Zustand ist lebbar, ja. Aber wir leben in einer Anarchie, wo jeder jeden töten kann, die grundsätzlichsten Menschenrechte haben keine Geltung mehr.“

Privatinitiative hat eben auch seine Grenze. Mogadischu ist hellerleuchtet – und erstickt unter Bergen von Müll. Die zartrosa Blüten der Kakteen sind kaum mehr von den rosa Plastiksäcken zu unterscheiden, die sich in den Pflanzen verfangen haben. An einer Hauptstraße füllt der Müll die Hausruinen und die Abstände zwischen den eingefallenen Gebäuden meterhoch. Der von Aidid eingesetzte „Gouverneur“ von Süd-Mogadischu, Mohammed Dheere, arbeitet nun zusammen mit der UNO ein Projekt aus, das eine gemeinsame Müllabfuhr für alle Stadtteile vorsieht. „Ich bin zuversichtilch, daß wir mit der Müllabfuhr einen ersten Schritt in Richtung gemeinsamer Problemlösung finden können“, behauptet er.

Die Politiker aber haben möglicherweise an der Realisierung eines solchen Projektes kein Interesse. Es hieße nämlich, Ansätze einer gemeinsamen Verwaltung zuzulassen. Würde der Müll privat entsorgt – in jedem Stadtteil von anderen Unternehmern – entspräche das eher ihrem Konzept. Die Privatinitiative der somalischen Geschäftsleute enthebt die Warlords der Veranwortung, die sie für ihr Volk tragen müßten.

„Man hat gelernt, damit umzugehen“, meint Sadiq, eigentlich Milizionär und zugleich Übersetzer und Fremdenführer. „Ich fürchte manchmal bloß, daß wir uns schon so daran gewöhnt haben, daß wir diesen Zustand gar nicht mehr rückgängig machen können.“ Als die Besucher auf der Fahrt durch Süd-Mogadischu anhalten wollen, schreit Sadiq plötzlich: „Nein! Wir sind hier noch im Bermuda-Dreieck.“ Das Bermuda-Dreieck ist eine Exklave, in welchem Angehörige von Ali Mahdis Clan leben, also vom Feind. Fünf Meter weiter hält der Fahrer dann doch, und Sadiq erklärt: „Wir haben uns geeinigt, daß Märkte, wo auch immer sie sind, allen zugänglich sein sollten. Dort respektieren alle den Waffenstillstand. Ein Meter vor dem Markt sind aber Milizionäre, und die schießen, wenn wir von einer anderen Fraktion sind.“ Auch das gehört zu Mogadischus Normalität.

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