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Das Ex steht vor dem Exitus

Das Betreiberkollektiv der Kneipe im Mehringhof kann die Miete nicht mehr zahlen und will 1998 aufgeben: Schwere Zeiten für Läden mit politischem Anspruch  ■ Von Jeannette Goddar

Fast ist alles wie immer. Den Zigarettenautomaten ziert eine kritische Stimme zu dem Brandanschlag gegen Kaiser's, die Spaghetti Bolognese gibt es immer noch für 7,50 Mark, ein Plakat wirbt für die Ausstellung „Die guatemaltekische Guerilla und der Friedensprozeß“, ein anderes für das Referat über das politische Mandat der Asten. Die Klos kann man immer noch nicht abschließen, vor ihren Türen werden trotz des entspannten Wohnungsmarktes immer noch WG-Zimmer gesucht. Und am Tresen prangt immer noch die Bitte, nur „linksradikale Flugis“ auf das Regal zu legen. Woran sich immer noch keiner hält. Und das, obwohl auch Info-Stefan, der notorische Sammler und Sortierer aller Aufrufe, Mitteilungen und Parolen, immer noch durch den Raum schlurft.

Nur ist es ein anderes Publikum, das inzwischen das Ex, die Kneipe im Mehringhof, ziert: Statt studentischer Stammtische vom OSI oder LAI oder anderen Gruppen ist auch hier inzwischen Pärchen- Power angesagt.

Zurückhaltend sitzen sie zu zweit an den Tischen, plauschen mit gesenkter Stimme über Gott und die Welt. Fragt man, was sie hier machen, wissen viele das gar nicht so genau. Erzählt man ihnen, daß der Laden bald zumacht, zucken viele mit den Schultern, andere sagen „schade“. Nur wenige gucken wirklich entsetzt, weil ihnen möglicherweise ein integraler Bestandteil ihres sozialen und politischen Lebens genommen wird.

Der Uni-Streik ist längst vorbei, die Häuser sind geräumt, auch Demo-Vorbereitung ist kein wochenfüllendes Programm mehr. Damit ist dem Ex, schon von seiner Größe her der ideale Ort für Plena bei wärmendem Tee, ein großer Teil seiner Klientel abhanden gekommen. Das reine Kneipendasein aber bekommt dem Laden nicht. Die Stimmung sinkt, und mit ihr sinken die Einnahmen. Das Betreiberkollektiv hat die Konsequzenzen gezogen und den Rückzug angekündigt. Es sieht sich außerstande, 6.000 Mark im Monat für Miete und Nebenkosten aufzubringen und sich nebenher auch noch halbwegs angemessene Löhne zu zahlen. Mit den sinkenden Gästezahlen steigt außerdem der Streß in der Gruppe. Sie seien „ausgebrannt“, sagen die Leute vom Ex. Am 1. Februar geben sie die Räume an den Mehringhof zurück.

Doch auch das läuft hier nicht so wie in anderen Kneipen, die eines Tages einfach zubleiben: „8.11., 16 Uhr, öffentliche Versammlung zur Zukunft des Ex“ steht an der großen Tafel über der Tür, da, wo früher „Bei Kriegsbeginn 13 Uhr Breitscheidplatz“ oder „Bei Räumung 18 Uhr Senefelderplatz“ stand. Diese Tafel, immer voll mit Terminen, Prozeßinfos oder Spendenaufrufen, ist für viele seit dem Größerwerden der Stadt und der Zersplitterung der Szene der wesentliche Grund, noch manchmal reinzuschauen.

Doch noch ist nicht alles verloren: Knapp 40 Leute kamen am vergangenen Wochenende im Versammlungsraum des Mehringhofs zusammen und debattierten Alternativen zum gegenwärtigen Konzept der Selbstausbeutung. Fünf Bewerbungen für eine neue Nutzung der Räume liegen bereits vor – vom zehnköpfigen Kollektiv, das den Laden mit mehr Kultur und Konzerten wieder ins Gespräch bringen will, über ein deutsch-argentinisches Paar bis hin zum Buchladen „Schwarze Risse“, der ohnehin schon im Mehringhof weilt und sich das Ex als Laden mit angeschlossenem Literaturcafé wünscht. Letztlich entscheidet über die weitere Nutzung eine Kommission der Mehringhof-Mieter. Der Auftrag der Mieterversammlung: ein Café mit politischem Charakter.

Ihnen dürfte das bisher noch reichlich unausgegorene Konzept, das am Wochenende diskutiert wurde, vermutlich sehr gelegen kommen: das Ex in den Händen politischer Gruppen und Grüppchen, jeweils für einen Abend im Monat oder in der Woche, auf eigene Verantwortung mit eigenem Programm – und ehrenamtlich. Nur so, glauben viele, lasse sich aus dem Ex wieder etwas Besonderes machen. Denn: „So ist es doch langweilig“, meint eine Frau aus Friedrichshain, „der Laden ist völlig beliebig.“

Und – und das ist für viele die entscheidende Frage –: „Warum soll ich denn dafür bis nach Kreuzberg fahren?“ Das, so hofft sie, könne sich mit einem Gruppenkonzept ändern. „Dann weiß ich halt, dann und dann ist Frauen/ Lesben-Abend, und ich treff' da bestimmte Leute, die Musik ist so und so, und ich komm' an bestimmte Infos ran.“ Doch die Hoffnung richtet sich nicht nur auf den simplen Erhalt des Ex zu möglichst wenig kommerziellen Bedingungen: Müsse es denn nicht möglich sein, fragt einer, die zersplitterte Szene linker Gruppen, die sich seit Jahren auf immer weniger Läden in Friedrichshain, Kreuzberg oder Prenzlauer Berg verteilt oder einfach in einer x-beliebigen Kneipe hockt, überhaupt mal wieder an einen Ort zu bringen?

Wer sich an dem Gruppenkonzept beteiligen würde, ist noch völlig unklar – auch, weil eine öffentliche Diskussion praktisch noch nicht stattgefunden hat. Vage Bereitschaft geäußert haben bisher eine Frauen/Lesben- sowie eine lesbisch-schwule Gruppe, die schon jetzt jeden ersten Sonntag im Monat bestreitet, um die Betreiber zu entlasten. Interesse angemeldet haben weiterhin der „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ sowie eine „SchülerInnengruppe“.

Die Tatsache, daß bis Februar nicht mehr allzuviel Zeit ist, bestenfalls 7 (jeder einmal pro Woche) oder schlimmstenfalls 30 (einmal im Monat) Gruppen zusammenzukriegen, konnte das Plenum nicht so richtig schrecken. In zwei Wochen trifft man sich hier wieder.

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