Supermärkte angeln Bioläden Kunden weg

Selbst Naturkostläden bieten keine Marktnische mehr. Biohändler suchen nach neuem Marketing  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – Der Biohändler von altem Schrot und Korn ist der Hohepriester einer Art von Religion: „Ich glaube an die Macht der Körner aus dynamischem Getreideanbau – und an die Kraft der Eier aus Bodenhaltung.“ Die Gemeindemitglieder kennen sich. Der Einkauf als Gottesdienst. Und die Buße für einen Gang in den Supermarkt unter der Woche heißt: Schlange stehen an der Theke des gnädigen Biohändlers. Und an der Kasse tief in die Tasche greifen. Unser täglich Müsli gib uns heute. Und gib auch Joghurt dazu.

Doch auch diese Religion gerät in Schwierigkeiten: Wie lange wird es sie noch geben, diese Art von Naturkostläden? Diese kleinen Tempel aus unbehandeltem Holz? In denen der Umsatz klein ist – und klein bleiben wird. Weil ihre Betreiber permanent gleich gegen zwei Marktgesetze verstoßen: Wer nicht wirbt, der stirbt. Und: Stagnation ist Rückschritt.

Denn die Konkurrenz drückt. Immer mehr Supermärkte und Handelsketten nehmen in ihre Regale inzwischen auch Bioprodukte, die diese Bezeichnung verdienen. Viele Biohändler suchen daher nach neuen Wegen und finden sie beim sogenannten „Marktgespräch“ in Frankfurt am Main – Treffpunkt für Erzeuger- und Handelsgemeinschaften, für die Mitglieder der Verbände des ökologischen Landbaus und für die BiohändlerInnen. Dort lernen sie, „daß Geldverdienen keine Schande ist“. Und daß eine Expansion nur dann gelingen kann, wenn ideologischer Ballast über Bord geworfen wird. „Normale“ Kunden wollen schließlich von ihrem Psychiater oder ihrem besten Freund therapiert werden – und nicht vom Verkäufer. Wer nicht akzeptiert, daß er „reiner Dienstleister“ ist, so wie andere Anbieter auf dem großen Lebensmittelmarkt auch, dem könnten die Handelsriesen schon bald das Genick brechen.

Dagegen bieten die Supermärkte für die Erzeuger neue Absatzmärkte, die sie ohne Bedenken nutzen. Und die Handelsketten könnten, wie bereits in Österreich, schon bald interessanter sein als die kleinen Bioläden, wenn die sich nicht auch zu großen Einkaufsgemeinschaften zusammenschließen. Bio heißt heute Wachstum – und längst nicht mehr Nische. 1995 gaben die Deutschen vier Milliarden Mark für Bioprodukte aus, zehn Prozent mehr als im Jahr davor. Der Aufwärtstrend setzte sich 1996 fort. Und nach einer Marktanalyse der CMA ist das Nachfragepotential nach Bioprodukten noch lange nicht ausgeschöpft. Schon heute setzt alleine die Rewe-Gruppe mit Bioprodukten rund 50 Millionen Mark pro Jahr um – Tendenz steigend. Wenn die Kundschaft demnächst in weiteren Supermärkten – wie heute schon bei HL oder Toom (Füllhorn) – verbandskontrollierte Bioprodukte zu günstigen Preisen erwerben kann, gehen die Naturkostläden schweren Zeiten entgegen. Bei Füllhorn (Rewe) kommt die Milch schon aus der Biomolkerei Andechs – so wie beim Biohändler um die Ecke.

Marion Witte, eine für Rewe tätige selbständige Unternehmensberaterin, lehrte die Biohändler auf dem letzten Marktgespräch das Fürchten: „Durch moderne Methoden und Professionalität in Logistik, Transport und Vertrieb hat die Rewe-Gruppe die Möglichkeit, einen großen Käuferkreis mit Naturkost zu versorgen.“

Bio-Kalbfleisch bei Kaiser's von einem ausgesuchten, verbandskontrollierten Hof ist schon der Hit für alle Fleischesser, die ansonsten gerne beim Biohändler einkaufen, bei dem es in der Regel kein Fleisch gibt. Da können dann nur noch die Direktvermarkter auf den Biohöfen mithalten, die den regionalen Metzgern ohnehin schon schwer wie Martinsgänse im Magen liegen.

Da steht manch Biohändler machtlos am Rand. Er kenne einen Bioladen mit der „schönste Käsetheke in der ganzen Stadt“, sagt Rüdiger Kerschner von naturring, einer Handelsgemeinschaft selbständiger Kaufleute. „Nur weiß das kein Mensch.“ Für ihn ein Beispiel dafür, wie selbst innovative Biohändler ihre Investitionen in den Sand setzen können. Ohne Werbung geht es eben nicht. Kerschner setzt bei den Werbemitteln auf den „guten alten Handzettel“. Schön fotografierte Produkte mit Preisangaben. Und die Innovationen – wie etwa die neue Käsetheke oder die Erweiterung der Produktpalette um Bioweine – könnten dabei gleich mit vorgestellt werden.

Dabei hilft letztlich gegen die Marktmacht der Supermärkte nur die Kooperation der einfachen Bioläden. Weil naturring Marketigkonzepte für (fast) alle Naturkost- und Bioladenbetreiber entwickelt hat und die Zahl der Mitgliedsbetriebe kontinuierlich steigt, werden diese Dienstleistungen auf dem Marketingsektor auch für einfache Biohändler inzwischen bezahlbar. Kerschner predigt: „Gemeinsam sind wir stark.“ Die Handzettel etwa für die von naturring betreuten Läden erreichten im Sommer 1997 eine Auflage von 2,3 Millionen.

Eine flächendeckend arbeitende regionale Variante beim Marketing könnte Nieb („Naturkost ist einfach besser“) werden. Bei dem vom Großhandel entwickelten Konzept wird regelmäßig eine Sortimentsauswahl gleich mit weiterem Werbematerial ausgeliefert.

Die Biohändler alten Schlages werden sich also umstellen müssen. Und sie werden sich weiter organisieren und kämpfen müssen, um sich am Markt behaupten zu können. Da gibt es noch viel zu tun. „Naturkost für alle! – Für alle?“ hieß die von Gengenbach provokant gestellte Eingangsfrage auf dem 4. Marktgespräch. Das müsse tatsächlich noch ausdiskutiert werden, meinte ein Biohändler mit borstigem Haar aus Berlin beim Kaffee im Foyer des Ökohauses.

„Naturkost auch für Managertypen?“ – „Gerade für Managertypen“, antwortete ihm eine gut gestylte und kühn geschminkte Biohändlerin aus Frankfurt, denn: „Bei denen ist doch die meiste Kohle zu holen.“