Freier Handel mit Strom ist das Ziel des neuen Energiewirtschaftsgesetzes, das gestern im Wirtschaftsausschuß abschließend beraten wurde. 60 Jahre haben Monopolisten den Wettbewerb verhindert. Mit dem Reibach der Stromriesen soll ab 1. Januar Schluß sein: Jeder Verbraucher kann künftig seinen Stromversorger frei wählen. Die Preise werden sinken, Klima- oder Umweltschutzbedenken stören da nur. Von Reiner Metzger

Saft aus dem Supermarkt

Die bedeutendste Umwälzung für die Stromwirtschaft seit dem Jahre 1936 soll es werden, das neue Energiewirtschaftsgesetz. Nach langem Ringen hinter den Kulissen beschloß der Wirtschaftsausschuß des Bundestages gestern die Endfassung. Im Prinzip kann damit ab Januar 1998 jeder Kunde seinen Stromversorger frei wählen. Genauso wird der Gasmarkt liberalisiert. Im Eiltempo soll das Energiewirtschaftsgesetz nun durch Bundestag und Bundesrat, und schon in ein paar Wochen soll es gelten.

Das Ziel des neuen E-Gesetzes ist offiziell der freie Handel für den wichtigsten Treibstoff der Technik, den Strom. Den Wettbewerb hatten die Beherrscher des Marktes gut 60 Jahre lang erfolgreich verhindert – vom kleinen Stadtwerk bis zum Betreiber von Atomkraftwerken hatte jeder der Versorger das alleinige Recht, auf seinem Gebiet Kunden zu beliefern. Doch die Europäische Union beschloß eine Richtlinie, die ab Anfang 1999 die Strommonopole verbietet. Deshalb nun der Umschwung. Den Energieunternehmen waren hohe Gewinne garantiert, schließlich störte keine Konkurrenz mit niedrigeren Preisen das Geschäft. Die großen drei – RWE, PreussenElektra und die Bayernwerke – haben je zweistellige Milliardensummen auf der hohen Kante und haben sich in den letzten Jahrzehnten mit ihren gefüllten Kriegskassen in andere Branchen wie Öl, Gas oder Telefon eingekauft.

Mit dem ungebremsten Verdienst der Stromer sollte eigentlich ab Januar Schluß sein. Das neue Energiegesetz sollte den Preis vor allem für Strom senken.

Schließlich kann ein Verbraucher nun auch auf billigen Atomstrom aus Frankreich oder gar der Ukraine zurückgreifen. Und auch die Wasserkraftwerke in Skandinavien mit ihren Überkapazitäten warten nur auf die Öffnung des lukrativen deutschen Marktes.

Doch der große Liberator, Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (CDU), hat sich absichtlich ein Bein gestellt: Sein Ressort sieht sich nämlich außerstande, eine wichtige Verordnung zur Durchleitung des Stroms zu verfassen, so gestern sein Statement im Wirtschaftsausschuß. Ohne diese Durchleitungsregelung aber könnten die Stromversorger erst einmal den Tansport erschweren oder gar verweigern. Und die Gebühren für eine Durchleitung dürften wohl in einer Höhe angesetzt werden, daß jedem Kunden der Wechsel zu einem anderen Versorger vergeht.

Offiziell sollen sich nun die Strom verbrauchende und die erzeugende Industrie ohne Zutun der Regierung einigen. Doch da sitzen derzeit die Stromversorger am längeren Hebel. Nach einer vorläufigen Einschätzung von Experten bleibt für die privaten Kunden und vielleicht auch für kleine Betriebe nur der Klageweg. Dann müssen die Stromwerke vor Gericht ihre Durchleitungsbedingungen erklären. Daß sich viele Privatkunden mit ihren Stadtwerken vor Gericht treffen wollen, ist unwahrscheinlich. Für sie bleibt ein Wechsel also bis auf weiteres aussichtslos. Pikantes Detail am Rande: Mit ähnlichen Tricks und Nebengebühren wehrte sich auch die Telekom gegen eine Öffnung ihres Telefonnetzes. Bis der Zugang zu den Kunden für die ab Januar kommende Konkurrenz der Deutschen Telekom gesichert war, mußten die Neulinge auf dem Markt mit harten Bandagen kämpfen. Die wettbewerbsfreudigen Neulinge waren überwiegend die Stromkonzerne.

Die Preise werden für größere Stromabnehmer wohl trotzdem sinken. Doch die Elektrizitätsversorger lassen nicht einfach ihre Gewinne schrumpfen. Sie drücken ihre Kosten. „Wir befürchten, daß nochmals bis zu 40.000 Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft verlorengehen“, sagte jüngst der zuständige ÖTV-Vorstand Ralf Zimmermann in einer Anhörung des Bundestages. Schon in den letzten Jahren waren die Preise für die großen Industriekunden teilweise gefallen, weil diese mit dem Bau von eigenen Kraftwerken gedroht hatten. „Der Kostendruck war so hoch, daß wir schon 30.000 bis 40.000 Stellen verloren haben“, so Zimmermann.

Noch schlimmer sehen die Stadtwerke ihre Zukunft. Sie haben keine Rücklagen wie die großen Stromkonzerne. Bis zu 50 Prozent der kleinen Versorger werden den Preisdruck nicht aushalten und von den großen geschluckt werden, schätzen pessimistische Experten. Sie sind auf die Auslastung ihrer Kraftwerke angewiesen. Sie liefern in einer genau austarierten Bilanz häufig neben dem Strom die Abwärme der Kraftwerke als Fernwärme an die Kunden. Wenn dieses Gleichgewicht durcheinanderkommt, indem zum Beispiel ein großer Stromkunde abgeworben wird, türmen sich schnell die Verluste.

Bei all dem Gerangel ums Geld spielte der Klima- oder Umweltschutz praktisch keine Rolle. Die Stromversorger haben in Großkraftwerke aller Art investiert und wollen sich deshalb keinesfalls mit Energieeinsparungen oder gar einer Wende hin zu erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne oder Biogas abplagen.

Für Energieexperte Klaus Traube vom BUND ist die Debatte über die Bedeutung des Energiepreises sowieso völlig überzogen. „Der Anteil an den Produktionskosten insbesondere in den Bereichen, die als zukunftsträchtig gelten, ist außerordentlich niedrig“, gibt er zu bedenken. Und wenn sich nach einigen wilden Wettbewerbsjahren der Strommarkt bereinigt hat, bleiben vielleicht doch nur einige wenige Anbieter übrig. Und dann steigen die Preise wieder.