: „Wir wußten nie, was die Schiffe laden“
■ Scantrader: Gestern begann der Prozeß um den Untergang des überladenen Frachters vor sieben Jahren im Atlantik. Die drei Reeder sind sich keiner Schuld bewußt.
Der Handel mit Zement gilt bei deutschen Reedern als lukrativ: Länder wie Polen oder Spanien stellen den Baustoff so günstig her, daß sich Verschiffung und Weiterverkauf in Staaten mit höherem Lohnniveau wie Großbritannien immer lohnen. Was zählt, ist pünktliche Lieferung. Bei Verspätung zahlt der Reeder. 300 Tonnen mehr an Bord steigern den Profit des Reeders, spielen beim Entladen aber kaum eine Rolle.
Für die Stabilität des Schiffs und damit die Sicherheit der Besatzung dagegen kann das gefährlich sein: Am 11. Februar 1990 sank der mit 3363 Tonnen Zement be- und damit um knapp 300 Tonnen überladene Frachter „Scantrader“, ein deutsches Schiff unter der Flagge Maltas, nordwestlich der nordspanischen Hafenstadt Bilbao im Atlantik. Alle zwölf Besatzungsmitglieder – fünf Polen, vier Inder, drei Deutsche – kamen ums Leben. Trotz Warnung des Seewetterdienstes hatten sie Bilbao verlassen, um den Zement termingerecht nach Großbritannien zu liefern.
„Wir bedauern das zutiefst“, erklärt Jerzy K. gestern vor dem Hamburger Amtsgericht. Insbesondere, weil die Hinterbliebenen der indischen Seeleute bis heute, sieben Jahre nach dem Unglück, die ihnen zustehende Unfallversicherung „noch immer nicht ausgezahlt bekommen“hätten. Dafür könne er freilich nicht: Jerzy K. (57) war Geschäftsführer der Hamburger SK Schiffahrt. Ihm gehörte die „Scantrader“zusammen mit dem zweiten Geschäftsführer, dem 39jährigen Heiner B. Anteile an der SK Schiffahrt hielt auch dessen Vater, der Lübecker Reeder Heinrich B. (67). Allen dreien wirft der Staatsanwalt vor, die Schiffssicherheit vorsätzlich gefährdet und dadurch billigend in Kauf genommen zu haben, daß „Leib und Leben anderer“aufs Spiel gesetzt wurden.
Das 26 Jahre alte Schiff, verliest Staatsanwalt Harald Allerbeck die Anklageschrift, habe erhebliche Sicherheitsmängel aufgewiesen. Auch hätten die drei „in Kenntnis der Stabilitätspapiere“gewußt, daß das Schiff überladen war. Heinrich B. lauscht den Worten des Staatsanwalts wie einer, der mit dem Verfahren nichts zu tun hat. „Ich war nie Reeder der Scantrader“, beteuert er. Mit ihrer Befrachtung habe er nie etwas zu tun gehabt, geschweige denn ihre Ladekapazität gekannt. Das Handelsregister behauptet das Gegenteil. Dennoch „werde ich seit Jahren verfolgt, als wäre ich das große Schwein“, klagt er. Lediglich für Ausrüstung und Reparaturen seien sein Vater und er zuständig gewesen, ergänzt der Sohn. „Wir wußten nie, wo die Schiffe sind und was sie geladen haben.“
„Für einen Kaufmann ist das aber extrem wichtig, zu wissen, wieviel er laden kann“, ermuntert ihn Richter Hans Bünning. Und auch die Stabilitätspapiere, die zu kennen Heinrich B. zu Prozeßbeginn bestreitet, „haben wir doch bei der Hausdurchsuchung bei Ihnen gefunden“. Schließlich fällt Jerzy K. ein, daß er für die Frachtgeschäfte verantwortlich gewesen sei. Man habe das Schiff bei einer Werft umbauen lassen. Die habe zugesichert, daß der Frachter anschließend 2400 Tonnen laden könne. Wieviel jedoch letztlich auf das Schiff gelange, habe „der Kapitän vor Ort bestimmt“.
Solange er den Anweisungen der Reeder folgte, merkt am Nachmittag der Zeuge Heiko Eikmeyer bitter an. Der pensionierte Hamburger Wasserschutzpolizist hatte seinerzeit die Ermittlungen geleitet. Ein ehemaliger Kapitän der „Scantrader“, der sich geweigert hatte, 2500 Tonnen Zement zu laden, hatte Eikmeyer gegenüber zu Protokoll gegeben, deswegen entlassen worden zu sein. Bei der Hausdurchsuchung bei Heinrich B. in Lübeck habe er, Eikmeyer, die „Original-Stabilitätsunterlagen“gefunden. Folglich hätte der Kapitän, dem überdies das notwendige Patent gefehlt habe, gar nicht wissen können, daß sich die 2400 Tonnen auf das Gesamtgewicht des Schiffs bezogen hätten. Zur Stabilitätssicherung dagegen hätten mindestens 195 Tonnen Ballast geladen werden müssen. Heinrich B. aber beteuert, „alle Papiere an Bord weitergeleitet“zu haben. An wen, wisse er nicht mehr.
Der Prozeß wird nächste Woche fortgesetzt. Heike Haarhoff
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