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„Veröffentlichen ist Verrat“

■ Die Tagebücher des Hamburger Autors Hans Erich Nossack

Hans Erich Nossack (1901-1977) war einer der großen Außenseiter der westdeutschen Nachkriegsliteratur. Seine Erzählung Der Untergang, in der er die Zerstörung Hamburgs 1943 schildert, findet bis heute Beachtung, ebenso seine Romane Spätestens im November und Der Fall d'Arthez. Seine Biographie legte Büchner-Preisträger von 1961 als Verwirrspiel an: Nossack rühmte sich, der bestgetarnte Schriftsteller zu sein. Die Tagebücher-Editorin Gabriele Söhling spricht über das Selbstbild des Hamburger Autors in den nun vorliegenden Tagebüchern.

taz hamburg:Welches Bild von dem Menschen Nossack eröffnen die Tagebücher?

Gabriele Söhling: Sicher hat Nossack die Aussagen über sein Leben und Werk für die Öffentlichkeit präpariert. In den Tagebüchern begegnet man einem zutiefst unsicheren Menschen, der sich permanent seiner selbst versichern muß. Das funktioniert vorrangig über das Schreiben. „Schreiben ist nur vorläufig das beste Mittel, um mit mir fertig zu werden“, heißt es einmal.

Die Publikation seiner Tagebücher hielt Nossack erst nach seinem eigenen und dem Tod der Ehefrau für wünschenswert. Warum dieses Zögern?

Es gibt den Satz von ihm: „Veröffentlichen ist Verrat“, oder, noch schärfer formuliert: „Veröffentlichen ist eigentlich Prostitution.“Was ich schreibe in meinem Tagebuch, geht eigentlich nur mich was an. Wie aber kann ich mich mit anderen über die Zeit hinweg verständigen – das stand im Widerstreit. Er hat die Tagebücher anderer Autoren geradezu verschlungen, um zu erfahren, wie andere Geistige mit Fragen umgingen, die ihn selbst rastlos zurückließen. Ihn hat interessiert: Wie ist jemand mit Widerständen umgegangen, wie ist er gewachsen an Widerständen, wie hat er seinen Weg gefunden?

Nossack hat zeitweise ein Doppelleben geführt – tagsüber leitete er die väterliche Kaffeeimportfirma, abends schrieb er.

An ihm hing ja in den schwierigen Nachkriegsjahren das Auskommen der ganzen Familie. Für seine Geschäftspartner war er der seriöse Kaufmann, nach Büroschluß aber frönte er seiner wahren Passion – der Schriftstellerei: „Unter Leben, das sich festzuhalten lohnt, verstehe ich wohl nur, einen guten Gedanken haben und ihn zu formulieren versuchen.“Erst ab 1946 wird er einem breiteren Publikum bekannt, und 1956 verkauft er die Firma. Ohne die Zuwendungen eines Mäzens hätte er nicht als freier Schriftsteller leben können.

Nun setzen die Tagebücher sehr spät ein, da ist Nossack bereits zweiundvierzig.

Bei der Bombardierung Hamburgs waren alle seine Manuskripte verbrannt, auch die seit 1915 geführten Tagebücher. Das hat mich natürlich bei der Kommentierung vor Probleme gestellt, denn ich mußte für die Jahre vor dem Krieg mehr Hintergrundinformationen liefern, mußte die Lebensumstände Nossacks stärker erläutern als dann in der späteren Zeit. Aber wenn jemand so dicht Tagebuch schreibt wie Nossack, steht das meiste im Text selbst.

Was erhellen die Tagebücher im Hinblick auf den Autor Nossack?

Bei Spätestens im November wird die autobiographische Dimension des Romans deutlich sichtbar, die dann allerdings viele Bearbeitungsstufen durchlaufen hat, bevor sie zum Roman verdichtet vorlag. Nossacks Selbstgespräche und Analysen lassen aber auch die übrigen Romane und Erzählungen in anderem Licht erscheinen.

Wie nah rückt einem der zeitlebens auf Distanz bedachte Nossack in dieser wohl persönlichsten literarischen Form?

In diesem unablässig geführten Selbstgespräch begegnet man einem schonungslosen Beobachter seiner selbst, der sich gnadenlos in die Mangel nimmt. Man spürt die Spannung dieser Existenz, und vor allem spürt man die Ängste des Menschen wie des Schriftstellers.

Fragen: Frauke Hamann

Hans Erich Nossack: „Die Tagebücher 1943-1977“in drei Bänden, hrsg. von Gabriele Söhling, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1997, 1800 Seiten, DM 178 Mark

Lesung der Tagebücher mit einer erläuternden Einführung von Gabriele Söhling: morgen, 11 Uhr, Hamburger Kammerspiele, Hartungstraße 9 -11

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