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„Das ist für Gelsenkirchen ein Hilfeschrei“

■ Die Stadt Gelsenkirchen hat eine Verfassungsklage gegen das Land Nordrhein-Westfalen erhoben

taz: Nach den jüngsten Steuerschätzungen haben die Kommunen in Nordrhein-Westfalen 1998 mit zusätzlichen Steuerausfällen von 600 Millionen Mark zu rechnen. Muß Gelsenkirchen den Offenbarungseid leisten?

Peter Langner, SPD-Stadtkämmerer von Gelsenkirchen: Die Kommune kann ihre Aufgaben längst nicht mehr in dem Maße erfüllen, wie es von der Bevölkerung erwartet wird. Allerdings reißt die Kette der Hiobsbotschaften ja schon seit 1993, als die Steuereinnahmen ihren ersten großen Einbruch erlitten, nicht mehr ab. Im Vergleich zu 1992 haben wir in diesem Jahr 40 Prozent weniger Einnahmen im Säckel: 20 Millionen Mark weniger Einkommensteuern und 70 Millionen weniger Gewerbesteuern. Da brauche ich keine Mitteilungen aus dem Finanzministerium, um mir die Zahlen für das nächste Jahr auszurechnen.

Die Stadt Gelsenkirchen hat inzwischen eine Verfassungsklage gegen das Land Nordrhein-Westfalen eingereicht. Was ist der Hintergrund?

Das Gemeindefinanzierungskonzept des Landes Nordrhein- Westfalen, das nach bestimmten Spielregeln Geld an die Kommunen verteilt, wird unserer Auffassung nach nicht dem in der Verfassung garantierten Anspruch auf kommunale Selbstverwaltung gerecht. Denn wenn diese Garantie nicht nur auf dem Papier bestehen soll, muß eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen gewährleistet sein. Doch davon kann in Gelsenkirchen schon seit längerem keine Rede mehr sein.

Nach den jüngsten Schätzungen muß auch das Land 1997 und 1998 mit Mindereinnahmen von jeweils zwei Milliarden Mark rechnen.

Das wissen wir, und deshalb ist dem Stadtrat die Entscheidung für den Klageweg auch nicht leichtgefallen. Das Land ist aber rein formal unser Ansprechpartner. Die Verfassungsklage ist ein Hilferuf. Wir sagen: Wir haben getan, was die eigenen Kräfte zuließen, um den Haushalt zu konsolidieren. Mehr ist nicht drin. Der Spagat zwischen immer geringeren Einnahmen und immer größeren Ausgaben, etwa bei der Sozialhilfe, läßt sich nicht länger bewältigen. Auslöser für die Klage war letztendlich eine Bestätigung der Kommunalaufsicht, daß wir alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Interview: Noel Rademacher

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