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Ein blutiger Kleinkrieg treibt Ruanda in den Ruin

■ Hunderte Tote bei der bisher schwersten Schlacht zwischen Hutu-Milizen und Armee. Die aus Kongo/Zaire zurückgekehrten Milizen dehnen ihr Operationsgebiet in das Landesinnere aus

Berlin (taz) – Bis zu 400 Menschen sind in Ruanda bei einer mehrtägigen Schlacht zwischen Regierungstruppen und Hutu-Milizen ums Leben gekommen. 1.200 bis 1.500 Milizionäre griffen in der Nacht zu Dienstag das Gefängnis von Giciye im Nordwesten Ruandas an, um dort festgehaltene Hutu zu befreien. Sie steckten das Gefängnis schließlich in Brand. Dabei kamen viele Häftlinge um, andere konnten fliehen. Die Kämpfe dauerten in der Nacht zu gestern an. Ein Armeesprecher sagte gestern, bei dem Angriff in der Nacht zum Dienstag seien 200 Rebellen, 88 Häftlinge und zwei Soldaten getötet worden. Insgesamt gebe es fast 400 Tote.

Es ist der bisher blutigste Zusammenstoß zwischen der Armee der herrschenden „Ruandischen Patriotischen Front“ (RPF), die von Tutsi dominiert wird, und bewaffneten Hutu-Gruppen. Sie stehen in der Tradition der Völkermörder von 1994. Teilweise sind es die gleichen Milizen, die damals versuchten, Ruandas Tutsi auszurotten, und über eine halbe Million Menschen töteten, bevor sie von der vorrückenden RPF ins zairische Exil getrieben wurden. Ab November 1996 kehrten die meisten Hutu-Flüchtlinge nach Ruanda zurück, nachdem ihre Lager in Zaire von Laurent Kabilas Rebellen eingenommen worden waren. Mit ihnen kamen auch die Milizen zurück. Sie versuchen seitdem, in Ruanda eine Hutu-Rebellion zu organisieren.

Nach Schätzung der Armee sind in Ruanda 15.000 Milizionäre und frühere Soldaten als Rebellen aktiv. Sie kämpfen vor allem im Nordwesten an der Grenze zu Kongo/Ex-Zaire um Gisenyi und Ruhengeri, der Heimatregion der früheren Hutu-Führung Ruandas. Hier haben viele Milizionäre Verwandte, von denen manche wegen Verdachts auf Völkermord im Gefängnis sitzen. Gefängnisse werden damit zum Angriffsziel.

Ein anderes Angriffsziel sind die wenigen Tutsi der Region – vor allem solche, die bei der ersten Etablierung eines Hutu-Regimes in Ruanda 1959 ins Ausland geflohen waren und nach dem Sieg der RPF 1994 wieder zurückkehrten. Sie ließen sich bei ihrer Rückkehr zumeist in Häusern von geflohenen Hutu nieder. Nun kehren diese Hutu zurück, und die Regierung hat ihnen zugesagt, daß sie ihr früheres Eigentum zurückbekommen. Die Tutsi-Rückkehrer gelten für die Hutu-Milizen als Eindringlinge und legitime Ziele. Im Oktober tauchten in Ruanda erstmals seit 1994 wieder Hetzschriften auf, die dazu aufriefen, alle Tutsi umzubringen.

In der Praxis ergeben sich viele mit Gewehr oder Machete ausgetragene Eigentumskonflikte zwischen Hutu-Rückkehrern und Tutsi-Rückkehrern. Aus dem Nordwesten Ruandas sind viele Tutsi Richtung Süden nach Kibuye geflohen, wo sie von der UNO versorgt werden. Die Region um Kibuye und auch um Gitarama, das näher der Hauptstadt Kigali liegt, ist ein weiteres Operationsgebiet der Milizen, seitdem die Armee im Nordwesten immer wieder Großoffensiven durchführt. Bei Gitarama beginnt ein Waldgebiet, das bis nach Burundi reicht, wo sich die Milizen bei Burundis Hutu-Rebellen versorgen können.

Die Auswirkungen der Unsicherheit sind beträchtlich. 50 Prozent des ruandischen Staatshaushalts gehen ans Militär. Dazu kommt Nahrungsmittelknappheit, vor allem, da die Bevölkerung mit der Rückkehr der Flüchtlinge um über 20 Prozent gewachsen ist. Schlechtes Wetter ließ schon im Juli die Ernte kleiner als erwartet ausfallen, und weil im September der Regen drei Wochen auf sich warten ließ, rechnen Experten auch im Dezember mit einer Mißernte. Die Lebensmittelpreise in der Hauptstadt Kigali haben sich seit dem Sommer verdoppelt. Daß es im Oktober heftig regnete, hat wiederum viele Straßen unpassierbar gemacht, was die Belieferung der Märkte erschwert und Sabotageakte der Milizen erleichtert. Dominic Johnson

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