piwik no script img

Hier bei uns kommt das nicht vor

Nun reiben sich alle die Augen und wollen's nicht glauben: Wie eine Schwarzwaldgemeinde mit dem Überfall rechter Skinheads auf ihren Jugendtreff am vergangenen Wochenende umgeht  ■ Aus Bad Teinach Hilmar Höhn

Zehn Verletzte zählte die Polizei am Ende. Einen hatte es schwer erwischt, sein Nasenbein war gebrochen. Kurz nach Mitternacht hatten Skinheads ein fröhliches Geburtstagsfest in einem Jugendtreff beendet. In Rostock, Berlin, Hoyerswerda? Nein. Die Geschichte spielt im Südwesten der Republik, in Sommenhardt, um genau zu sein.

Sommenhardt muß man sich als einen kleinen Weiler vorstellen, auf einer Schwarzwaldanhöhe gelegen. Ein Idyll von verstreuten Häusern, 800 Einwohner. Im November riecht die Luft nach frischem Mist, den die Bauern auf den Feldern ausgebracht haben. Die Vorgärten sind geputzt, die Straßen sauber, es gibt ein paar Gasthöfe, und im alten Waschhaus seit nun mehr als zwanzig Jahren einen Jugendtreff. Ein verrauchtes, düsteres Loch, von der Decke hängt ein Tarnnetz, in einer Ecke bullert ein Ofen. Der verstrahlt angenehme Wärme. Es gibt einen Kühlschrank, eine Theke und eine Sofaecke. Die Jugend von Sommenhardt ist nicht anspruchsvoll.

Sicher gehört zu einem Idyll mehr als schöne Fassaden, aufgeräumte Vorgärten und saubere Straßen. Um über das Innenleben von Sommenhardt mehr zu erfahren, muß man ins Tal hinunter und bei Werner Krauss vorstellig werden. Der ist der parteilose Bürgermeister von Bad Teinach. Und Sommenhardt ist ein Ortsteil von Bad Teinach.

Krauss sagt, in seiner Gemeinde gebe es keine Kriminalität. Vorfälle dieser Art seien ihm nicht bekannt. Schon richtig, am Ortsrand sei ein Polizeiposten eingerichtet, „aber da sitzt ein einzelner Beamter. Und der ist auch meistens abgeordnet an eine Stelle, wo's brennt.“ Und das ist eben nie Bad Teinach. „Mit dem Jugendtreff hat es auch noch nie Probleme gegeben“, sagt Krauss. Und von Skinheads oder Neonazis sei seine Gemeinde verschont geblieben. Die seien von auswärts angereist, weiß er: „Von Landau“. Das hat sich der Bürgermeister von den Jugendlichen und den ermittelnden Polizisten erklären lassen.

Was hat sich im Jugendtreff abgespielt?

Was also hat sich im Jugendtreff von Sommenhardt genau abgespielt, am letzten Wochenende, in der Nacht vom 15. auf den 16. November? Thomas Schönhardt ist so etwas wie der Treff-Älteste. Er war an jenem Abend bei dem Fest und erinnert sich folgendermaßen: „Drei Mädchen haben hier Geburtstag gefeiert. Zu dem Fest sind aber mehr als nur die geladenen Gäste erschienen. Da haben sich vor der Tür noch ein paar rumgedrückt. Das waren so zehn Leute ungefähr. Darunter auch ein paar Typen mit Schnürstiefeln, Bomberjacken und kurzen Haaren. Die sind nur reingekommen, wenn sie was zu trinken wollten. Rumgestänkert haben die. Und dann haben sie mit ihren Mofas draußen Krach gemacht.“

Waren sie wirklich mit Mofas da? Schönhardt bekräftigt: „Ja, mit Mofas.“ Und weiter: „Ich und ein paar andere Jungs haben die dann aufgefordert zu verschwinden. Oben an der Straße hat es einen kleinen Tumult gegeben, dann sind sie abgehauen.“

Bedeutung habe diesem etwas unerfreulichen Auftritt niemand beigemessen, sagt Andreas Mast, eines der Gewaltopfer. „So was kommt ja vor.“ Das Fest sei normal weitergegangen. Bis kurz vor Mitternacht in Sommenhardt die Straßenlaternen verlöschten. Die meisten der 30 Festgäste, alle um die sechzehn Jahre alt, standen draußen, es war zwölf Uhr, Sektkorken knallten, da erschienen Autos auf der Straße, „sechs oder sieben“, sagt Andreas Mast. „Ein Mädchen kam rein und sagte, jetzt kommen sie, jetzt gibt's Ärger“, erinnert sich Thomas Schönhardt. Der daraufhin selbst hinausging. Und an dem vorbei drei, „vielleicht auch vier“ Skinheads den Jugendtreff betraten, mindestens einer habe einen Baseballschläger gehabt. „Und dann begannen die auf die Bar einzuschlagen, zerstörten einen Lautsprecher, räumten die Gläser ab, ein Tisch ging in Stücke.“ Minuten später seien die Typen wieder weg gewesen.

Der junge Andreas Mast lag da allerdings noch am Boden, die Nase schmerzte fürchterlich, „war total schiefgerückt“, erzählt Mast. Einer der Skinheads hatte einen Händel mit ihm begonnen, „ich weiß nicht mehr, was er gesagt hat“. Aber mit einem Mal versetzt ihm der Typ mit der Stirn einen Stoß auf die Nase, „dann wurde mir schwarz vor Augen“.

Aber wer sind „die“? „Die aus Landau?“ Die mit dem Mofa dawaren? Wieso überhaupt Landau? Thomas Schönhardt hat ein Autokennzeichen beginnend mit den Buchstaben DÜW gesehen. Landau hat aber LD. Kennt Thomas Schönhardt die Leute? Weiß er mehr? Warum Landau? Nein, niemanden kannte er. Dann: Doch, ein paar Gesichter. Und eine Frau, die im Dorf wohne, sei auch dabeigewesen. Überhaupt kenne hier jeder jeden. Und das mit Landau, das höre man eben so.

Wo treffen sich „die“? An jenem Abend, so steht es im Polizeibericht, seien nach dem Überfall in einer Gaststätte im zwanzig Kilometer entfernten Calw-Hirsau alle Gäste überprüft worden. Die Beamten kontrollierten Ausweise, durchsuchten Autos. Dabei stellten sie „eine Gaspistole, einen Stahlhelm mit Hakenkreuz und SS-Runen und einen Totschläger“ sicher. Ob die Besitzer der Gegenstände an dem Angriff auf den Jugendtreff beteiligt gewesen seien, stehe indes nicht fest, sagt der Pressesprecher der Polizeidirektion Calw. Man habe fünf oder sechs Tatverdächtige, die Ermittlungen richteten sich derzeit aber noch gegen Unbekannt.

Eine Gaststätte also. Bürgermeister Krauss kennt zumindest seit dem vergangenen Sonntag den Namen dieses Lokals. „Sonderbar“ ist der Name, auch die Jugendlichen kennen die zur Kneipe umgebaute Baracke hinterm Bahnhof Hirsau als Treffpunkt rechter Skinheads. Der Polizeisprecher sagt, die „Sonderbar“ sei noch nie aufgefallen, „weder positiv noch negativ“.

Soll man das glauben? Der Bürgermeister erzählt, die Polizei in Calw habe seit Freitag gewußt, „daß die Skins was planen. Sie wußten nur nicht, wo und wie“, sagt Krauss. Sollte die Polizei die Szene kennen, nicht aber ihre Treffpunkte? Und wieso wurden dann nach dem Anschlag ausgerechnet die Gäste der „Sonderbar“ gefilzt?

Vielleicht gibt es für die Ausflüchte des Polizeisprechers ein anderes Motiv. Vielleicht sei die ganze Angelegenheit einfach nur schwierig zu begreifen. Das vermutet Fred, und der ist Kneipier in Bad Liebenzell und für die Grünen Mitglied des Calwer Stadtrats. „Warum schlägern die“, fragt sich also dieser Fred mit geröteten Augen, mittags hinterm Tresen seiner noch geschlossenen Kneipe. Die Nacht war kurz, denn Fred mußte heute früh schon in Sachen Skinheads zu einer Versammlung beim Bürgermeister.

„Man muß das mal politisch sehen“, sagt der Grüne. „Die Jugendlichen haben hier keine Perspektive, immer mehr Firmen machen zu. Und dann läßt man sie allein.“ Erklärt das etwa den Gewaltausbruch? „Nein“, räumt Fred ein. „Und rechtfertigen tut es auch nichts.“ Das würde die Ausflüchte des Polizeisprechers eher erklären: Da versammelt sich in der „Sonderbar“ immer wieder ein rechtsgewirkter, gewaltbereiter Haufen, aber was soll man machen? „Schon richtig“, sagt Fred, „die Polizei hat sich nie um die Szene gekümmert. Aber sonst auch keiner. Deswegen gucken jetzt alle dumm.“ Und behaupten, so eine Szene gäbe es gar nicht.

Also, noch einmal hinauf nach Sommenhardt

Vielleicht war dieses Rollkommando in jener kalten Novembernacht ja auch gar kein so einzigartiger Ausbruch der Gewalt. Also noch einmal hinauf nach Sommenhardt, in den Jugendtreff. An den Tresen, wo Thomas Schönhardt und Andreas Kast an ihrem Mixora-Spezi nuckeln. Und da fällt es ihnen mit einem Mal ein, daß dieser Überfall gar nicht so einzig war. Daß es schon länger gärt in der Region. „Dieses Jahr haben die schon zweimal die Jugendinitiative von Würzbach aufgemischt“, sagen sie. Einmal sei sogar eine Hundestaffel des Bundesgrenzschutzes angerückt, um eine Veranstaltung zu sichern. Und auch beim Fest des Sportvereins Altberg sei eine ganze Busladung von Skinheads vorgefahren, und die hätten dann das Fest gestört.

„Kommt schon öfter vor“, druckst Thomas Schönhardt. Nur in Bad Teinach, da waren sie eben noch nicht. Die Weiler der Schwarzwaldgemeinde blieben bis zum vergangenen Wochenende unberührt.

„Das soll nicht wieder vorkommen“, sagt der Teinacher Bürgermeister Werner Krauss. „Die müssen vors Gericht. Das muß harte Strafen geben!“ Wenn in der Sache nichts passiere, werde er den Mund nicht halten. Er werde den Staatsanwalt persönlich vor dem Gemeinderat Stellung nehmen lassen. „Das Schlimme ist doch das Klima der Angst, das hier mit einem Mal herrscht“, sagt Krauss.

Am Morgen war ein Mädchen da, hatte Schmerzen am ganzen Körper noch von den Schlägen. Krauss: „Die traut sich nicht, Anzeige zu erstatten. So weit ist es gekommen.“

So schnell kann es gehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen