piwik no script img

Geschichten, die der Fußball nicht selbst schreibt

Wie sich der große Kindertraum im gelebten Alltag verwandelt: Ex-Profi Jürgen Rollmann beschreibt in seinem Erstling „Beruf: Fußballprofi“ das Fußballgeschäft als Fußballgeschäft. Schlimmer – er will es auch noch ändern. Das ist neu, tut weh und gefällt nicht allen  ■ Von Peter Unfried

1Da war ein Traum. Der so alt ist wie die Welt. Der Traum, ein großer Fußballer zu werden. 18 ist dieser Jugendnationaltorhüter, als er im fernen Leningrad (so lange ist das schon her) auf seinem Zimmer gemeinsam mit dem Torwartkollegen immer wieder den magischen Satz herausschreit: „Wir kriegen sie alle.“

Heute ist er 31. Hat er sie alle gekriegt? „Na ja“, sagt Jürgen Rollmann und legt danach eine Schweigesekunde ein. (Was eher unüblich ist.) Er hat eine Menge jener überholt, die damals vor ihm und in den Bundesligatoren standen. Alle nicht. Das hat der getan, der damals mit ihm schrie. Bodo Illgner.

Nun hat aber nicht Illgner, sondern Rollmann ein Buch geschrieben. Einer, der sagt, er sei „nie ein Star“ gewesen. Das stimmt – nicht ganz. Für kurze Zeit war er einer. Davor und danach war er (von 1988–1997) Fußballprofi bei Werder Bremen, dem MSV Duisburg und dem Regionalligisten FC Augsburg. Woraus folgt: „Ich kann mich äußern.“

Das tut er aus der Ichperspektive: Wie Ich Rollmann aus dem hessischen Büdingen Bundesligaprofi wurde? „Es klingt wie eine Autobiographie“, sagt er, „aber es ist keine.“ Man solle „das als Fallbeispiel nehmen“.

Rollmanns Erstling versucht schlicht einzulösen, was der Titel scheinbar harmlos in zwei Worte zusammenfaßt: „Beruf: Fußballprofi“. Das ist ein großer Anspruch in einer Szene, deren Buchmarkt im allgemeinen immer noch damit beschäftigt ist, Siege und Helden sprachlich zu überhöhen. In England ist man weiter. Da hat vor kurzem der Profifußballer Gary Nelson einen Nachfolger seines Bestseller-Erstlings („Left Foot Forward“) herausgebracht, in dem er seinen Alltag als Spieler-Assistenztrainer bei einem Viertdivisionär beschreibt. „Left Foot in the Grave“ (Collins Willow, 14,99 Pfund) handelt nicht vom Traum – sondern vom Trauma.

Von Trainingsbällen, die die Spieler stundenlang suchen müssen, weil der Klub so knapp bei Kasse ist, wird bei Rollmann zwar nicht berichtet – immerhin wird es den einen oder anderen interessieren, daß auf 200 Seiten kein einziges Mal mit dem Handy telefoniert wird. Berichtet wird vom Arbeitsalltag eines Profifußballers – von all dem, was zwischen den Spielen passiert – oder nicht. Das Leben des Profis kann monoton sein, insbesondere wenn man zu Werder Bremen kommt und der Trainer Otto Rehhagel heißt. Die Kommandos des Tages („hopp, hopp“) donnern Rollmann nachts durch den Kopf. Die ewige Frage: Warum spiele ich nicht? Die Kränkung, als Nummer 2 auf der Bank zu sitzen, verwandelt seinen Traum mit den Jahren in einen „Alptraum“.

Die eigene Machtlosigkeit in einer diskussionsfreien Hierarchie („hopp, hopp“) führt zu psychischen Störungen. Ende 1991 hat Rollmann „mehr Eigentumswohnungen als Bundesligaeinsätze“. Entgegen landläufiger Annahme funktioniert das Gehalt aber nicht als Schmerzensgeld.

Bei seinem nächsten Klub, dem Aufsteiger MSV Duisburg, machen die Kollegen Rollmann zum Kapitän und sind froh, daß er das undankbare Geschäft des Feilschens und Verhandelns mit dem Arbeitgeber übernimmt. Dafür lassen sie ihn auch ohne Widerstand die große Show übernehmen. In der erfolgreichen Saison 1993/94, sagt Rollmann heute, habe er „auch nichts liegen lassen“, sich „das Klebeschildchen aufs Hemd geklebt“ und sich „gefreut, wenn der Scheck kam“. Die Zahlen sind alle im Buch abgedruckt: 2.000 Mark gibt es für jeden Auftritt beim Erstrechteverwerter Sat.1 vom Sponsor, immer noch 500 Mark für ein Kurzinterview am Spielfeldrand.

2„Ständig trainieren, und dann 2. Liga zu spielen vor 3.000 Zuschauern, das hab' ich nicht als erfüllend angesehen“, sagt Rollmann. In einer Zeit des richtigen Erfolgs aber, „da lebst du wirklich Fußball.“ Als der MSV die Bundesliga anführt, herrscht Aufbruchstimmung in der Stadt Duisburg. Es gibt Presse-Elogen, Fernseh-Schmeicheleien – und dennoch bleiben die Probleme mit den aus seiner Sicht unprofessionellen Strukturen des Arbeitgebers, dem mitunter seltsam erscheinenden Geschäftsgebahren der Ehrenamtmänner. Rollmann muß sich von seiner Frau fragen lassen, warum „ich so böse bin, obwohl ich meine gar nicht böse zu sein.“ In seinem Tagebuch notiert er die Frage: „Warum bin ich so freudlos?“

3Als Präsident der Spielervereinigung vdv hat Jürgen Rollman in zwei Jahren einiges in die Gänge gebracht. Der zuvor schwache, einflußlose Interessenverband der Profifußballer hat heute Strukturen, zwar keinen überragenden, aber immerhin einen gewissen Stellenwert.

Ende letzten Jahres ging er. „Ich fand das spannend, aber ich will ganz woanders hin“, sagt er. Journalistisch gearbeitet hat er schon immer. Gerade hat er an der Journalistenschule in München seine Zwischenprüfungen abgelegt. Im zweiten Teil seines Buches strickt er aus den Erkenntnissen und Fortschritten der vdv-Jahre einen Leitfaden, um den Arbeitnehmer Fußballprofi besser zu positionieren im „Geflecht“ (Rollmann) zwischen DFB, Vereinen, Sportartikelfirmen, Spielervermittlern – und Journalisten. „Hätte man mir von Anfang an ein paar Sachen mitgeteilt“, sagt Rollmann, „hätte ich diese Erfahrungen nicht schmerzlich machen müssen.“ Die wichtigste Forderung seines reformierten Modells Profifußball ist die Einführung von „Laufbahnberatern“. Ehemalige Profis sollen Transfers abwickeln und den Spielern im Berufsalltag helfen. Bezahlt werden sie vom DFB, so daß Spielervermittler samt Provisionen und mitunter diffusen Eigeninteressen überflüssig werden. „Es gibt auch Profis, die 2.500 Mark verdienen“, sagt Rollmann. Monatlich, nicht stündlich. Man vergißt das hin und wieder.

4Als er sein Buch geschrieben und eben auf den Markt gebracht hatte, sagte Rollmann: „Ich bin sehr gespannt, was passiert.“ Was ist passiert? Heute sagt er, er finde es „positiv, wie es aufgenommen wurde“. Andererseits haben zum Beispiel kicker und Sport-Bild darauf verzichtet, sich mit Buch und Verbesserungsvorschlägen auseinanderzusetzen. Als vdv-Präsident hat er die Hüter des Fußballgrals mal mit einer branchenunüblichen journalistischen Form bekanntgemacht: der Gegendarstellung.

5Rollmann mag bloß einer von vielen Bundesligaprofis gewesen sein. Es ist dennoch nicht falsch, andererseits anzunehmen: Kaum einer war wie Rollmann. Über sein Ego hat sich die Branche mit Vorliebe lustig gemacht.

Rollmann sagt, er sei eigentlich von Kindheit an „schüchtern“ gewesen, habe sich in jedem Verein „das lange angekuckt“. Erst als sonst keiner sprach, suchte er die Kommunikation. Daß das jedesmal der Anfang vom Ende war, sagt möglicherweise etwas über ihn – noch mehr aber über die Branche. Kommunizieren, um etwas zu verbessern, dürfen (und können) allenfalls Leute wie Sammer, Thon und Bobic, die in ihren Vereinen unumstrittene Positionen einnehmen. Basler dagegen redet zwar, kommuniziert aber nicht: Daß man ihn als „Rebell“ feiert, nicht bloß als Kindskopf, zeigt die Angst aller Mitmachenden vor dem wirklich „mündigen“ und „kritischen“ Spieler. „Der liebste Spieler“, sagt Rollmann, „ist dem Trainer der, der auf dem Platz Verantwortung übernimmt, aber sonst keinen Mucks sagt.“

6An einer der schönsten und tatsächlich enthüllenden Stellen des Buches erzählt Rollmann über seine Anfänge in der Bundesliga. „Hochkomplizierte taktische Vorgänge“ hatte er bei Otto Rehhagels spielvorbereitenden Sitzungen erwartet.

„Ich bekomme mehr als einmal einen Lachanfall, wenn Rehhagel in schöner Regelmäßigkeit wild gestikulierend beschreibt, daß wir wie die Musiker eines philharmonischen Orchesters auf den Platz gehen sollten, mit dem Geigenkasten in der Hand. Und wenn sich der Gegner dann sicher fühle, ,holen wir aus dem Geigenkasten die Maschinenpistolen und rattattattattattattatta. Wie in Chicago 1930!‘“

Als Rehhagel schließlich wegen Verletzung des Stammtorhüters im Europapokalfinale Rollmann ins Bremer Tor stellen muß – und Werder gewinnt, geht der Trainer zum ungeliebten Spieler und sagt: „Jürgen, das sind Geschichten, die nur der Fußball schreiben kann.“ Daß der Trainer danach nichts mehr zum Untergebenen sagt und es beim Abschied nicht mal mehr zum Händedruck schafft, ist eine andere Geschichte. Die schreibt der Fußball aber halt nicht selbst. Gut, daß es einer getan hat.

Jürgen Rollmann: „Beruf: Fußballprofi. Oder: Ein Leben zwischen Sein und Schein“. Sport Verlag, Berlin, 29.90 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen