piwik no script img

Muttersprache Französisch

■ Im Einwanderungsland Frankreich sind Städte Schmelztiegel. Ghettos unerwünscht

Was den US-Amerikanern der melting pot, ist den Franzosen der creuset. Jeder vierte Franzose hat Großeltern, die eingewandert sind. Bloß hat der Schmelztiegel Europas seine Millionen von Neuankömmlingen assimiliert, ihnen bereits in der ersten Generation nicht nur volle Rechte, sondern auch die Werte aller anderen citoyens gegeben und so die Unterschiede, die jenseits des Atlantiks in den communities fortleben, verschwinden lassen. Schule, Militär und andere Institutionen sorgten dafür, das Prinzip der egalité durchzusetzen. Bis die Krise begann...

Seither stoßen die „Ausländer des Inneren“, wie die Demographin Michele Tribalat die Immigranten mit französischen Pässen nennt, auf immer größere Schwierigkeiten. Sie finden als letzte Arbeit, müssen am häufigsten den Job wechseln, bleiben oft langfristig an den Rändern der großen Städte in nicht deklarierten Ghettos leben und wenden sich in diesem segregierten Umfeld verstärkt religiösen Praktiken und einer ethnischen Ausschließlichkeit zu, die andere Franzosen ausschließt.

Das sind Risse in einer Einwanderungsgesellschaft, die bis dato vor allem gekittet und integriert hatte. Und das mit einem gewissen Erfolg, wie eine Studie zeigt, die Michèle Tribala vor zwei Jahren für das staatliche Demographieinstitut INED verfaßt hat: Schon in der ersten Generation nach der Einwanderung, so die Studie, bezeichnete die große Mehrheit das Französische als „Muttersprache“, in der zweiten Generation konnte nur noch ein Drittel die Sprache der Großeltern. Ähnlich verhielt es sich auch mit der religiösen Praxis, die besonders in algerischen Einwandererfamilien wenig verbreitet ist. Schließlich konstatierte Tribala auch eine überraschend hohe Zahl gemischter Ehen.

Die Untersuchungsergebnisse des INED überraschen. Sie zeigen Integration, wo die Vorurteile vor allem an Bildern von ausgebrannten Autos und Supermärkten, nächtlichen Straßenschlachten zwischen Jugendbanden und der Polizei und islamischen Fundamentalisten ausgerichtet sind. Und sie widersprechen einer offiziellen Politik, die seit Mitte der 80er Jahre die Immigration vor allem als „Problem“ betrachtet, das es zu „bekämpfen“ gilt.

„Die Jungen leben in Osmose mit der französischen Gesellschaft. Für sie ist es unerträglich, abgewiesen zu werden“, sagt die Demographin Michele Tribalat. In einem Abbau von Rechten für Einwanderer sieht sie keine Lösung. Einen Ersatz des französischen Prinzips der egalité durch die in den USA praktizierten affirmative actions, die mit positiver Diskriminierung einsetzen, wenn die Ungleichheiten erst einmal da sind, hält sie für nicht machbar. Schon aus historischen Gründen. Dorothea Hahn, Paris

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen