: Gericht verlangt Entkleidung
■ Karlsruhe gibt Wegweisung zur Satire: Koschwitz durfte „Münzen-Erna“ sagen
Das Bundesverfassungsgericht schützt Talkmaster vor Nachstellungen ihrer Gäste. Zwar ließen die Richter gestern ausdrücklich offen, ob es sich um „Kunst“ im Sinne des Grundgesetzes handelt, wenn Talkmaster Gäste auf die Schippe nehmen. Jedenfalls aber sei die Meinungsfreiheit berührt.
Diesen Sieg für ein freies Fernsehen errang gestern der ehemalige RTL-Moderator Thomas Koschwitz. In seiner RTL-Nacht- Show war im Juni 1994 die Prinzessin Erna von Sachsen zu Gast. Koschwitz machte sich damals darüber lustig, daß die bürgerlich geborene Frau in den sächsischen Adel nur eingeheiratet war und nun durch zahlreiche Adoptionen dem Adel weitere Mitglieder zuführte.
Die Prinzessin konterte den frechen Koschwitz mit der humanistischen Weisheit, für sie sei „Mensch gleich Mensch“. Der Moderator ließ aber nicht locker und konfrontierte die Adlige damit, daß sie „nach Zuschauerinformationen“ auch „Münzen-Erna“ genannt werde. Ein Kosename, der wohl nicht nur darauf hinweisen wollte, daß die früher als Münzkundlerin tätige Frau, ihren Mann auf einer Münzenausstellung kennengelernt hatte. Die Prinzessin fühlte sich jedoch durch den vermeintlichen Vorwurf der Geldgier beleidigt und erstritt ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000 Mark.
Dieses Urteil hob eine mit drei Richtern besetzte Kammer des Bundesverfassungsgerichts nun wieder auf. Die Zivilrichter hätten, so Karlsruhe, nicht gemerkt, daß es sich bei dem Kosenamen „Münzen-Erna“ wie auch bei der ganzen Sendung um Satire handelte.
Darum erklärte das Bundesverfassungsgericht den Fachgerichten bei der Gelegenheit gleich einmal, wie sie künftig Satire prüfen sollen: Erst einmal solle nämlich der Bedeutungskern von seinem „in Wort und Bild gewählten satirischen Gewand“ „entkleidet“ werden. Dann solle man den nackten Kern und das satirische Gewand nebeneinanderlegen und für beide gesondert prüfen, ob sie eine „Kundgabe der Mißachtung“ gegenüber der betroffenen Person enthalten. Beim satirischen Gewand, so die Richter großzügig, dürfe schon mal mit „Übertreibungen und Verzerrungen“ gearbeitet werden, um beim Zuschauer „Lacheffekte“ zu erzielen. Christian Rath
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