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■ SchlaglochWie man Quoten macht Von Friedrich Küppersbusch

Sieh zu, daß genug Häuser umfallen!“ (Drehauftrag an eine TV-Autorin)

Dabei ging es im Kern um das vergleichsweise dröge Thema, welche Auswirkungen der Hauptstadtumzug auf die städtebauliche Entwicklung Berlins haben würde. Das klingt seminaristisch, ist zigmal reportiert und diskutiert worden. Und errang nur deshalb noch einmal den Status eines ernsthaften Themenvorschlags, weil auf der Redaktionskonferenz die Autorin mit einem Artikel der Berliner Zeitung wedelte: Porträtiert wurde dort der Stammhalter einer Berliner Dynastie von Abbruchunternehmern. Ein Mann, der bei jedem Berliner Gebäude zuerst und voll Appetit daran denkt, wie's staubt, wenn's umfällt, kann sich gewisser westdeutscher Sympathien sicher sein. „Der Mann, der Berlin flachlegt!“ – „Weitermachen, wo der Russe aufgehört hat!“ – scherzte es heiter durch den Konferenzraum. Ortskundige trugen bei, daß Kaputtmachen an sich auch dem Nörgelbedürfnis der Berliner entgegenkommen dürfte, der Sprengmeister also ein gesamtdeutscher Volkstribun sei. Und also ward beschlossen und verkündet: Es werde Beitrag.

Im Rausgehen, wohlweislich also im Intimbereich der Auftragsvergabe, raunt der Redaktionsleiter der Autorin noch zu, daß es tüchtig zu krachen und zu bersten habe im geplanten Werk. Für diesbezügliches Bildmaterial sei auch der Weg ins Filmarchiv nicht zu scheuen. Nicht, daß man etwa der sachgerechten Analyse archtitektonischer Grundsatzfragen entsagen wolle. Im Gegenteil: Es gelte, den auch sozialpolitisch sehr wichtigen Stoff auf dem Transmissionsriemen des attraktiven Bildmaterials massenkompatibel, na ja jedenfalls, haben ja alle unseren Wember gelesen. Du weißt schon, hau rein. Im Klartext mag diese Drehanweisung nicht viel mehr bedeuten, als daß erstens phallusoriente Freudianer viel zu schmunzeln hätten über die Freude des Zuschauers am Bild umstürzender Hochbauten. Und daß zweitens: Quote. Aber dazu später.

Drei Monate später trifft man sich im Konferenzraum wieder. Diesmal ist abgedunkelt, ein Overhead-Projektor wirft aufschlußreiche Kurven und Graphiken an die Wand, auf dem Monitor flimmert der der Beitrag über den Sprengmeister. Die Delegation des Marktforschungsinstituts hat gerade anhand erbaulich bunter Folien ihre Untersuchungsmethode erläutert: ein Testpublikum, 50 Leute jeden Alters, zu gleichen Teilen Männer und Frauen, Interesse an politischen Magazinen war Bedingung. Sie hatten die Sendung anzuschauen und dabei ständig einen Joystick in der Hand zu halten. In fünf Stufen – sehr schlecht, schlecht, egal, gut, sehr gut – konnten sie den Joystick betätigen. Und so ihre Meinung zum Dargebotenen abgeben, permanent, nach einiger Zeit beinahe routiniert unbewußt. Der Rechner fragt die 50 Meßinstrumente alle fünf Sekunden ab und ermittelt daraus einen Durchschnittswert. Der wiederum wird als fortlaufende Kurve auf das TV-Bild aufgeblendet. Gefiel das Programm, fiebert der weiße Strich an die Bildschirmoberkante, mißfiel es, stürzt er nach unten. Macht 30.000 Mark, mit sorgfältiger Auswertung der anschließenden Gruppendiskussion, und ist ein recht präzises Meßinstrument.

Das nämlich ist die volkstümliche Einschaltquote nach Meinung Vieler nicht. 5.200 Haushalte in Deutschland werden monatlich gebeten, eine „Set-Top-Box“ auf ihrem Fernsehgerät zu dulden und eine zweite Fernbedienung zu benutzen. Einzugeben ist dort, welches Programm man gerade anschaut, ob man allein schaut oder mit wem noch. Die Set-Top-Box speichert die Daten und jubelt sie frühmorgens gegen drei zum Zentralrechner der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) nach Nürnberg. Die sammelt, kumuliert und addiert die Rohwerte zu Marktanteilen: Wie viele Leute von allen, die ferngesehen haben, hatten welchen Sender eingeschaltet? Der zweite ermittelte Wert, die absolute Zuschauerzahl, muß sich zur Gänze auf die Loyalität der Fernbediener verlassen. Vergißt der Papa die lästige GfK- Zweitfernbedienung, zappt er vom Dritten in seinen Softporno: seine Set-Top-Box meldet trotzdem ordnungsgemäßen Verzehr hoher Dosen Kulturbeiträge. Das verzerrt die Marktanteilsdaten. Guckt die Mutti Meiser und drückt ihre innige Zuneigung darin aus, daß sie auch die Kinder und Omi anmeldet, pumpt das die absolute Zuschauerzahl von RTL nach oben. Daß Omi nach fünf Minuten mittagsruht, die Kurzen dann doch in der Küche Hausaufgaben machen und Mutti bei Hans immer so schön bügeln kann, macht unterm Strich vier gemeldete Zuschauer, von denen null wirklich hingeguckt haben. Mutti sei 40, Omi 60 und die Kinder 10 und 12 Jahre alt: macht einen Durchschnittszuschauer von 30 Jahren für den Seniorentalk.

Auf Brasiliens Fernsehmarkt experimentieren Meinungsforscher deshalb mit einer Infrarotsonde, die vom Fernsehgerät aus das Zimmer beobachtet. Sie mißt die Zahl der anwesenden Lebewesen. Ein Fortschritt für alle, die nicht weiter krumm nehmen, daß ein Pudel auf dem Sofa dann mitzählt. Auch wenn er schläft.

Kritikwürdig erscheint an der GfK-Methode auch, daß wir nicht erfahren, wie gründlich etwa „TRT“ unter den zwei Millionen Türken in Deutschland abräumt: Ausländische Haushalte bekommen kein Meßgerät. Ähnlich ärgert sich etwa das Berliner n-tv: Das Verkündungsprogramm der Aktiensekte werde bevorzugt in Büros und Hotelzimmern konsumiert – wo die GfK nicht mißt. Und schließlich ist zu beachten, daß jedem GfK-Haushalt zur Belohnung für den Rummel ein Jahresabo einer Fernsehzeitschrift in Aussicht gestellt wird. Eine Chefarztfamilie mag auf diese Prämie weniger willig zusagen als ein Sozialhilfehaushalt. Ein Trend zu den Schlechterverdienenden wird dem GfK-Paneel deshalb attestiert.

Bisher waren die Sender selbst – als „Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung“ – Auftraggeber der GfK. Bald wird aber die staatliche Konzentrationskommission KEK entscheiden müssen, welcher Konzern die neue gesetzliche Grenze von 30 Prozent Marktanteil zu überschreiten droht. Schon meldet die Wirtschaftswoche, die KEK habe keine Lust, wegen unseriöser Daten Prozesse zu verlieren. Und zitiert KEK-Chef Reimut Jochimsen, der grübelt, ob es denn Stich halte, wenn die Meinungsmacht sich selbst Meinungsvielfalt bestätige anhand möglicherweise schlafender Zuschauer.

Wach wird er, wenn's knallt. Ein kulturhistorisches Essential, nach dem TV-Beiträge komponiert werden. Im Dämmer des Konferenzraums erholt sich der magische weiße Strich gerade von den Tiefstwerten einer Tonpanne hin zu einem zappelnden „gut“ für den Anfang des Sprengmeister-Films. Gerade setzt es Inhalt: der Mann erklärt seinen Job. Der weiße Strich senkt sich. Schnitt. Archivbild. Hochhaus in Berlin. Der weiße Strich verharrt. Bumm. Der weiße Strich steigt zaghaft. Krach. Schepper. Staub. Der weiße Strich kratzt an den oberen Bildrand. Natürlich hat der Beitrag auch inhaltlich viel geleistet. Aber es ist eben wichtig, einen instinktsicheren Redaktionsleiter zu haben.

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