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Ermittlungen gegen Ex-Gestapo-Chef

■ Stuttgarter Staatsanwaltschaft leitet Verfahren gegen 91jährigen ein

Berlin (taz) – 52 Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft wird sich der Chef der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) von Chemnitz, Johannes Thümmler, aller Voraussicht nach doch noch für seine frühere Tätigkeit verantworten müssen.

Die Staatsanwaltschaft in Stuttgart bestätigte gestern gegenüber der taz, daß sie gegen den heute 91jährigen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat. „Es sind umfangreiche Akten gesichtet worden“, erklärte gestern Oberstaatsanwalt Rainer Christ. Der für NS- Verfahren zuständige Staatsanwalt Kurt Schrimm sei in der Vergangenheit zweimal in Polen gewesen, um dort aufgetauchte Akten aus der NS-Zeit zu sichten. Wann es zu einer Anklage gegen den in Baden-Württemberg lebenden Pensionär kommt, steht noch nicht fest.

Nach einem Bericht der Dresdener Morgenpost wurde der promovierte Jurist Thümmler 1937 Mitglied der SS, zwei Jahre später stellvertretender Leiter der Dresdner Gestapo. Am 1. März wurde er schließlich Gestapo-Chef in Chemnitz und zum Oberregierungsrat und SS-Obersturmbannführer befördert.

Nach Angaben der Zeitung soll Thümmler persönlich für den Abtransport von 2.000 Chemnitzer Juden in Konzentrationslager verantwortlich gewesen sein. Zuletzt habe er die Gestapo-Leitstelle im polnischen Kattowitz geleitet und soll dort als Vorsitzender eines Standgerichts an mehr als 800 Todesurteilen mitgewirkt haben. Auch sei er im Konzentrationslager Auschwitz eingesetzt worden.

Nach Kriegsende war Thümmler jahrelang Geschäftsführer der Carl-Zeiss-Wohnungsbau GmbH im baden-württembergischen Oberkochen.

Bereits vor zehn Jahren fand ein Verfahren gegen einen früheren Dresdner Gestapo-Mitarbeiter internationale Beachtung. Am 28. September 1987 wurde der SS- Obersturmbannführer Henry Schmidt vom Bezirksgericht Dresden zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Der damals 75jährige hatte nach Kriegsende wie viele andere SS-Angehörige seine Blutgruppentätowierung entfernen lassen und in der DDR jahrzehntelang unter falscher Identität gelebt. Erst nach Durchsicht von Akten des Volksgerichtshofs kamen DDR-Ermittlungsbehörden auf seine Spur und verhafteten ihn schließlich im Frühjahr 1986. Schmidts Name wird unter anderem in den im vergangenen Jahr veröffentlichten Tagebüchern des Dresdner Hochschulprofessors Victor Klemperer („Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten“) erwähnt. Klemperer hatte als einer der wenigen Dresdner Juden an der Seite seiner „arischen“ Ehefrau den Krieg überlebt. In seinen Tagebüchern schilderte er Schmidt als besonders brutalen Gestapo- Mann. Der zeitweilige stellvertretende Dresdner Gestapo-Leiter Johannes Thümmler wurde von Klemperer allerdings nicht in seinen Notizen erwähnt.

Henry Schmidt leitete von April 1942 bis Februar 1945 das für die „Endlösung der Judenfrage“ zuständige Referat II B (später IV 4) der Staatspolizeistelle Dresden. Nach dem Gerichtsurteil betrieb er maßgeblich die Deportation von mindestens 723 Juden aus Dresden und Umgebung in das Ghetto Theresienstadt und ins KZ Auschwitz. Severin Weiland

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