: Rudi Dutschkes Erben haben's schwer
■ Der moralische Rigorismus der 68er liegt den Studierenden fern
Wenn die 68er-Veteranen über die heutige Studentenbewegung sprechen, schwingt immer eine gewisse Enttäuschung mit. Statt für eine Veränderung der Gesellschaft zu kämpfen, wollten die Studis von heute doch nur eins: mehr Geld.
Ist die Studentenbewegung von 1997 also gänzlich unpolitisch? „Wenn ich nicht nur für eine bessere Bildung, sondern auch für mehr Kitas kämpfe und im gleichen Atemzug noch den Krieg gegen die Kurden verurteile – wem nützt das etwas?“, fragt Daniela, Pädagogikstudentin an der Freien Universität (FU) Berlin. Das heißt für sie aber noch lange nicht, gesamtgesellschaftliche Fragen auszuklammern. Es sei Sache der Studierenden, sagt sie, dafür zu sorgen, daß die Uni wieder ihre gesellschaftliche Aufgabe wahrnimmt. „Bildung für alle – das ist doch eine hochpolitische Forderung.“
1968 mögen die Studenten enthusiastische Weltverbesserer gewesen sein. Heute sind sie kühl kalkulierende Politprofis. Statt die Auslieferung der Springerpresse zu verhindern, diktiert man dem Journalisten von der Berliner Morgenpost lieber ein paar zitierfähige Statements ins Mikrophon. In den Vollversammlungen dominiert die Frage: Mit welcher Aktionsform erreichen wir die größte Aufmerksamkeit? Die inhaltliche Debatte wird in die AGs abgeschoben.
Die Rudi Dutschkes von heute haben's schwer. Wenn Stephan vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) ideologisch etwas weiter ausholt, verlassen die Leute reihenweise den Saal. Die Mehrheit denkt pragmatisch. Statt sich auf langwierige Barrikadenkämpfe einzulassen, plädiert man für partielle Streiks – „da, wo es weh tut“, etwa in den Forschungseinrichtungen, wo ein Streiktag viele tausend Mark kostet.
Den allzu zärtlichen Umarmungen der Standort-Rhetoriker weiß man sich, bei allem Stolz, zu erwehren. „Wir streiken bestimmt nicht für eine leistungsorientierte Uni à la Rüttgers“, sagt FU-Student Mike. Eine Hochschule sei schließlich kein Industriekonzern. Aber der moralische Rigorismus ihrer Mütter und Väter liegt den Studenten fern. Während jene einst gegen den Vietnamkrieg kämpften, lehnen sie heute den Bau des Eurofighters deshalb ab, damit beim Bafög nicht gespart werden muß. Während die 68er die Talare der Professoren anhoben, um den „Muff von 1.000 Jahren“ zu lüften, hängen die heutigen Studenten eher am Rockzipfel ihrer Lehrmeister und jammern, weil sie sich von ihnen vernachlässigt fühlen.
Aber deshalb gleich eine außerparlamentarische Opposition gründen? Von den protestierenden Vorfahren müsse man sich endlich emanzipieren, rät FU-Studentin Daniela sich und ihren Mitkämpfern. „Der ewige Vergleich mit 68 ist eine schwere Hypothek. Er lähmt uns mehr, als er uns anregt.“ Noel Rademacher, Berlin
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