piwik no script img

Ein Pferdekuß für Reiter?

■ Zum ersten Mal könnte ein Vorsitzender der ARD nicht von allen Sendern gewählt werden

Rache ist Intendantenwurst. Das könnte der ARD-Vorsitzende Udo Reiter auf der Sitzung des Senderverbundes lernen, die heute in Köln beginnt. Eigentlich sieht die Tagesordnung nur die üblichen Kabbeleien über Abendserien, TV-Vormittag, die Kompetenzverteilung beim neuen Hauptstadtstudio und Filmeinkäufe vor.

Wenn allerdings der MDR-Intendant als Vorsitzender wiedergewählt werden soll, könnten ihm einige Kollegen einen häßlichen kleinen Fleck auf die Karriereweste klecksen. Nicht, daß Reiter um seine Wiederwahl bangen müßte. Daß eine Rundfunkanstalt nicht für zwei Jahre den Vorsitz führen darf, ist undenkbar. Soviel wurde schon klar, als der Leipziger vor einem Jahr gewählt wurde, obwohl ihn so richtig kein Kollege leiden mag und selbst über den ruhigen BR-Chef Albert Scharf die Sage geht, er habe einst aus Wut über Reiter seine Pfeife gegen einen Spiegel geschmettert.

Allerdings gehörte es bisher zum bei allem Streit geheiligten ARD-Comment, daß ein Vorsitzender einstimmig gewählt wird. Über Reiter, der wegen seiner Reformideen umstritten ist, habe es bereits im Juni eine Art Probeabstimmung gegeben, „um festzustellen, wie denn die Dinge stehen“. Das Votum sei nicht einstimmig, wenn auch „ausreichend“ ausgefallen, erzählt ein Intendant und betont das Wort so, als ob das seine Note für den ARD-Chef wäre. Reiter erzürnte in seinem ersten Amtsjahr vor allem die kleinen Anstalten, denen er Fusion oder Programmverminderung anempfahl. Als der Streit im April eskalierte, schimpfte Fritz Raff, Chef des Saarländischen Rundfunks, noch nie habe ein ARD-Vorsitzender derart gegen seine Amtspflichten verstoßen. SFB-Intendant Günther von Lojewski nahm eine taz-Formulierung auf und nannte den Vorsitzenden einen „apokalyptischen Reiter“, und Radio Bremens Karl-Heinz Klostermeier sprach von einem „Verrichtungsgehilfen“ der Politik. ORB-Chef Hansjürgen Rosenbauer drohte gar mit dem ARD-Austritt.

Der Zorn rührte auch von dem Verdacht, Reiter wolle die kleinen Anstalten abschaffen, um vor allem in der Hauptstadtregion für seinen MDR mehr Macht zu gewinnen. Seine Gegner sind nun auffällig ruhig geworden, obschon der Reformator erst vor zwei Wochen in einem Interview den ARD-Finanzausgleich, von dem die Kleinsender leben, ein „labiles Kartenhaus“ nannte. Auf die Stimmen der Kleinen – vier von elf – scheint er also zu pfeifen. Auf die Frage, ob er auf Einstimmigkeit hoffe, ließ der Intendant über seine Sprecherin Susan Knoll ausrichten, er habe „amüsiert gelacht“. Georg Löwisch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen