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Es handelt sich um Gewalt

■ betr.: „Gut gemeint, schlecht getan“, taz vom 25.11. 97

Harry Kunz benennt einige Einwände gegen die jüngsten Strafrechtsänderungen bei Delikten des sexuellen Mißbrauchs an Kindern, die sehr bedenkenswert sind und auch innerhalb der feministischen Diskussion sowie durch engagierte Juristinnen immer wieder vorgebracht wurden. In wesentlichen Punkten möchte ich Harry Kurz jedoch widersprechen.

Es stimmt zwar, daß es wenig erfolgversprechend ist, auf Änderung des gewaltvollen Verhaltens vieler Männer durch Strafverschärfung zu hoffen. Und es handelt sich um Gewalt, auch wenn Harry Kunz meint, diese Männer seien eher durch Ängstlichkeit und fehlende Selbstachtung gekennzeichnet, als durch Brutalität. Auf den Kontext kommt es an: Ängstlich sind sie nicht im Umgang mit dem mißbrauchten Kind, und ihre fehlende Selbstachtung polieren sie unter Umständen durch eben diese Gewalthandlungen auf, indem sie sich in der Gewaltsituation die Definitionsmacht und die Entscheidung über Gesundheit und Lebensqualität eines anderen Menschen machtvoll aneignen. Täter haben keinerlei Grund zu der Befürchtung, daß sie unter dem neuen Recht eher angeklagt oder verurteilt werden als bisher. Vom Strafrecht präventive Wirkung zu erhoffen, ist naiv, denn der Mann, der sich entschlossen hat, ein Kind seiner Familie sexuell zu mißbrauchen, hat jedes Mittel in der Hand, für seinen eigenen Schutz zu sorgen.

Es ist keineswegs so, wie Harry Kunz denkt, daß heute die Pädophilen keine Lobby mehr hätten oder Kinderpornographie out wäre. Deshalb ist es ja von so großer Bedeutung, daß der Tatbestand des sexuellen Mißbrauchs vom Vergehen zum Verbrechen wurde, daß auf der Ebene gesellschaftlicher Normen und Sanktion eine Richtigstellung stattfand. Ähnlich wie bei der neuen Gesetzgebung bei Vergewaltigung in der Ehe drückt sich die gesellschaftliche Haltung gegenüber einer Tat in diesen normativen Regelungen aus. Nur so kann Unrechtsbewußtsein entstehen. Der Autor hat zwar recht, wenn er von selbstgefälliger moralischer Entrüstung spricht – einige derjenigen, die diese Änderungen mitgetragen haben, waren sicherlich von nichts anderem geleitet. Er irrt sich aber in seiner Einschätzung der Folgen für die Rechtsprechung. Wir haben zur Zeit die Situation, daß es kaum zu Verurteilungen kommt, weil die Gerichte zögern, ihre Aufgabe der Rechtsfindung zu erfüllen und die Verantwortung an Gutachter abgeben. Es ist der hohen Anzahl der Freisprüche und Verfahrenseinstellungen sowie der Belastung der kindlichen ZeugInnen geschuldet, daß auch professionelle HelferInnen immer mehr zögern, zu einer Anzeige zu raten. Diese Situation könnte sich durch das neue Gesetz tatsächlich verschärfen.

Richter, die sich bislang nicht wagten zu verurteilen, werden weiterhin ihrer Verantwortung ausweichen. Es kann aber nicht angehen, daß wegen Mängeln der Praxis im Gerichtssaal auf die angemessene rechtliche Einstufung der Taten verzichtet wird. Es ist dringend erforderlich, daß Gerichte bei entsprechender Sachlage auch verurteilen.

Die internationale Forschung über sexuell mißbrauchende Männer hat deutliche Ergebnisse vorgelegt, daß Verurteilungen und gerichtlicher Zwang der einzige Weg sind, diese zur verbindlichen Teilnahme an Programmen oder Therapien zu veranlassen. Es gab zwar auch hierzulande die Möglichkeit von Strafaussetzungen und Auflagen, diese machte aber keinerlei Sinn, da sie kaum angewandt wurde, die Programme fehlten, die Therapieangebote auf Freiwilligkeit beruhten und keinerlei Kontrolle existiert, ob nun parallel zur Tätertherapie oder danach weiterhin sexuell mißbraucht wird. Nur eine Verurteilung kann hier den erforderlichen Rahmen für verändende Intervention schaffen, denn darauf, daß Mißbraucher sich reumütig selbst stellen, brauchen wir nicht hoffen. Da die aktuelle Rechtspraxis sie bis auf wenige Ausnahmen sowieso verschont, ist dies ein naiver Gedanke. Dr. Barbara Kavemann, Berlin

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