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Neutral war dieser Handel nicht

■ Die Rüstungsproduktion der Nazis hing von den Goldgeschäften mit der Schweiz ab

Dank der Anstrengungen zweier Historikergenerationen wissen wir heute viel über die nazistische Kriegswirtschaft. Ein wesentlicher Aspekt aber blieb bis vor kurzem unterbelichtet: der Goldraub der Deutschen in den besetzten Ländern und das Ausmaß, in dem die deutsche Rüstungsproduktion vom Verkauf dieses Goldes abhängig war.

Hauptabnehmer des deutschen Goldes war und blieb bis Februar 1945, dem Datum der letzten Transaktionen, die Schweiz. Sie importierte im Jahr 1943, als sich die Niederlage Nazideutschlands abzuzeichnen begann, mehr Gold aus dem Reich als Waren. Der Schweizer Historiker Werner Rings, Autor einer 1996 erschienenen Studie „Raubgold aus Deutschland“, zitiert den Nazi- Wirtschaftsminister und Reichsbankpräsidenten Walther Funk mit einer Einschätzung aus dem Jahr 1943. „Nicht mehr als zwei Monate“, so Funk, hätte Deutschland auf die Hilfe der Schweiz bei der Umwandlung von Gold in Devisen verzichten können. Die Nazis brauchten das Gold, um in den Besitz der seltenen Metalle zu gelangen, die für die Waffenherstellung notwendig waren. Die Schweiz wurde an den drei entscheidenden Finanzfronten aktiv: als Goldverkäufer, Krediteur und als Vermittler von Rüstungsgeschäften. Der Eizenstat-Bericht stellt lapidar fest, daß die Handelspolitik der Schweiz gegenüber Deutschland den Krieg verlängert hat.

Die Schweiz war von Armeen der Achsenmächte umgeben, mußte einen zukünftigen Angriff des Naziarmeen fürchten. Fürs erste allerdings war die Abhängigkeit des Deutschen Reiches von den Schweizer Finanziers größer als umgekehrt. Bis Kriegsende war die Schweiz nicht bereit, den Wünschen, Bitten, Drohungen der Alliierten nachzukommen und die Goldgeschäfte mit den Deutschen wenigstens einzuschränken. Dabei wußten die eidgenössischen Bankiers genau, wessen Goldbarren sie eigentlich im Berner Depot aufschichten ließen.

Expertenmeinungen, ein Alliierten-Memorandum vom Januar 1943, das drohte, die Goldgeschäfte nach 1945 für null und nichtig zu erklären, Informationen des Gouverneurs der französischen Nationalbank im August des gleichen Jahres – sie alle stimmten darin überein, daß das Nazigold völkerrechtswidrig in den Besitz der Nazis gelangt war. Und mithin ein gutgläubiger Erwerb eigentlich ausgeschlossen blieb. Im gleichen Monat erklärte der Präsident der Schweizer Nationalbank, Eberhard Reinhard, es sei klar, „daß die Reichsbank durch Maßnahmen des Reiches gegenüber ausländischen Notenbanken zu Gold gekommen ist“. Die Tatbestände seien nicht leicht abzuklären und es sei zu hoffen, daß der Nationalbank aus dem Goldgeschäft mit der Reichsbank kein Nachteil erwachsen werde.

Sichere Profite sind im Fall der Schweiz ein guter Erklärungsgrund, aber kein hinreichender. Warum schwenkten die Bankiers nicht vorsichtig um, als sich die deutsche Niederlage abzeichnete? Der Potsdamer Historiker Thomas Maissen bringt zwei Motive vor: ein monetäres und, wichtiger, ein psychologisches. Die Schweiz konnte mit dem in ihr Land geflossenen Goldstrom als Reserve die Zahl der zirkulierenden Franken vermindern und so erfolgreich die Inflation bekämpfen. Psychologisch gesehen blieben die Schweizer Bankiers, die im Glauben an die segensreichen Wirkungen des Goldstandards groß geworden waren, Gefangene des einmal eingeschlagenen Kurses „Augen zu und durch“.

Gerade indem sie den Goldhandel hemmungslos weiterverfolgten, bewiesen sie auch den Alliierten, daß sie von Anfang an guten Glaubens gewesen waren. Hätten sie, wie von dem Schweizer Experten Schindler gutachtlich vorgeschlagen, von der Reichsbank eine schriftliche Versicherung verlangt, daß die Deutschen das Gold rechtmäßig erworben hätten, so wären ihre Goldgeschäfte bis zu diesem Datum ins Zwielicht geraten. Entsprechend äußerte sich Nationalbankpräsident Weber schon 1943: „Eine andere Stellungnahme käme dem Eingeständnis gleich, bisher etwas Unrechtes getan zu haben.“

Die Schweizer sahen in ihren deutschen Verhandlungspartnern, vor allem dem stellvertretenden Reichsbankpräsidenten Puhl, nicht den willigen Helfer eines Verbrecherregimes, sondern einen geschätzten Kollegen. Ihre Bankersolidarität reichte im Fall Puhl über den Zusammenbruch des Nazireiches hinaus. Er war und blieb einer der ihren.

Im Frühjahr 1946 nahm die Schweiz an alliierten Verhandlungen in Washington teil, bei denen auch der Handel mit Raubgold thematisiert werden sollte. Die Schweiz tat dies, um Strafmaßnahmen zu entgehen, die von einem Teil der amerikanischen Öffentlichkeit und dem US-Finanzministerium gegen sie gefordert worden waren. Die Schweizer Verhandlungsführer blockierten erst jede Forderung der Alliierten, auch die nach Auflösung der Nazikonten, erklärten sich aber schließlich zur Zahlung von 550 Millionen Dollar nach heutiger Währung bereit.

Bei den deutschen Konten kam es zu einer grundsätzlichen Einigung fifty-fifty, die aber so nie umgesetzt wurde. Man verständigte sich schließlich 1952 darauf, daß die Schweiz 170 Millionen Dollar aus liquidierten deutschen Konten pauschal überwies. Davon wurden noch 20 Millionen abgezogen, die die Schweiz an die internationale Flüchtlingsorganisation IRO überwiesen hatte. Alles in allem gelang es der Schweiz durch eine zähe Hinhaltetaktik, dadurch, daß sie sich moralischen Argumenten gegenüber hinter völkerrechtlichen Positionen verschanzte, einen großen Teil ihres Reibachs über die Nachkriegszeit zu retten.

Schritt für Schritt wichen die westlichen Alliierten in den 40er Jahren bei den Verhandlungen mit den Schweizern von ihren ursprünglichen Positionen zurück. In der Zusammenfassung des Eizenstat-Berichts, die der Schweizer Bundesversammlung anläßlich eines Hearings vorlag, heißt es dazu abschließend: „Der beginnende Kalte Krieg, die dringende Notwendigkeit, die Sowjetunion einzudämmen, und die Notwendigkeit, ein mit dem Westen verbündetes demokratisches Westdeutschland zu unterstützen, gab neuen Sicherheitsüberlegungen Vorrang. Dieser Imperativ minderte den Willen der Vereinigten Staaten, betreffend der ungelösten Restitutionsfrage auf die Neutralen (also auch die Schweiz, C.S.) Druck auszuüben.“

Leider läßt der Eizenstat-Bericht die Frage offen, was eigentlich mit den Konten von Nazigrößen wie von Ribbentrop oder von Nazigefolgsleuten wie Schacht oder von Papen geschehen ist. Von Ribbentrop beispielsweise soll noch am 19. April 1945 eine Tonne Goldmünzen in die Schweiz geschafft haben. Dieses Gold, so die Schweizer Sonntags-Zeitung am letzten Wochenende, soll nach Kriegsende ins Eigentum des Schweizer Staates übergegangen sein und spielte bei den Washingtoner Verhandlungen nach 1946 keine Rolle.

Diese und ähnlich gelagerte Fälle werfen die Frage auf, ob die Schweizer Nationalbank nicht gut beraten wäre, dem beschlossenen Humanitären Fonds eine gewichtige Summe beizusteuern. Und sollte, allen bisherigen Zahlungen zum Trotz, nicht auch die Bundesbank als Rechtsnachfolgerin der Reichsbank bei dieser Gelegenheit noch mal über moralische Verpflichtungen nachdenken?

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