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An der Graswurzel stärken

■ Über einen Stadtteilfonds sollen öffentliche Mittel koordinierter und basisdemokratischer verteilt werden

Im Frauencafé BißQuit in St. Georg schenken Ex-Langzeitarbeitslose Kaffee aus. Mit öffentlichen Mitteln wurde die schmuddelige Lange Reihe zur mietpreisgünstigen Altbau-Meile saniert. Sicher – es gibt die Obdachlosen. Die Alkoholiker. Die Prostituierten, die Junkies. Aber, hält der Ex-Sozialsenator und heutige SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Jan Ehlers dagegen: Hat die Stadt in St. Georg etwa nicht erfolgreich das Hotelräumungsprogramm durchgeführt? Verdient die Methadon-Abgabe Anerkennung oder nicht? Und: Verfügt St. Georg nicht über eine der höchsten Polizei- und Sozialarbeiterdichten der Bundesrepublik? „Außerhalb Hamburgs stößt das auf Anerkennung. Nur vor Ort“, grämt sich Ehlers, „stellen wir keine Zufriedenheit fest.“Warum?

Weil sich – beispielsweise – die Öffnungszeiten der Fixerräume derzeit mehr nach den Freizeitwünschen der Sozialarbeiter richten als nach den Bedürfnissen der Junkies? Weil – beispielsweise – eine Behörde eine Jugendeinrichtung kaputtspart, während eine andere Geld lockermacht für Straßenbegrünung, auf die der Stadtteil pfeifen würde? „Die Gelder aus den Behörden müssen koordiniert ausgegeben werden“, fordert die grüne Sozialpolitikerin Anna Bruns seit Jahren. Deswegen findet sie es „erfreulich“, daß die SPD, wie Ehlers es ausdrückt, „sich von Zielen, die man vor 15 Jahren hatte, vielleicht verabschieden muß“.

Der Neubeginn heißt „Stadtteilfonds“: Ehlers will das Geld aus den Fachbehörden in einem Topf konzentrieren. Das erhöhe zwar nicht die Summe, aber die Transparenz. Anschließend sollten die Mittel für gezielte Aufgaben – Verkehrsberuhigung, Sanierung, Grünanlagen, Spielplätze – eingesetzt werden. Wichtig ist Ehlers, „daß die Leute vor Ort mitmachen können“, um höhere Akzeptanz zu erreichen. Zusammen mit Bezirks- wie Bürgerschaftspolitikern solle entschieden werden. Beispielsweise darüber, daß Jugendkeller auch am Wochenende geöffnet sind. Weil das auf den Widerstand der Sozialarbeiter stoßen dürfte, will Ehlers sie „keinesfalls“mit am Tisch haben: „Die haben ein zu starkes Berufsinteresse. Wenn die mitmachen, verkommt der Fonds zum Selbstbedienungsladen.“

„Ambivalent“findet Hamburgs Drogenbeauftragter Horst Bossong diesen Vorstoß. Der „Charme des basisdemokratischen Umgangs“sei nicht zu leugnen. Andererseits stehe zu befürchten, „daß die Interessen der Randgruppen künftig kaum noch zum Zuge kommen“. Wenn AnwohnerInnen aus St. Georg etwa beschlössen, keinen Pfennig mehr in Drogenhilfeeinrichtungen zu stecken, um die Szene so loszuwerden. Auch Sabine Stoevesand von der Gemeinwesenarbeit St. Pauli ist überzeugt: „Die Fachbehörden sind oftmals eine neutralere Instanz, weil sie nicht so in die Tagespolitik verstrickt sind.“Richtig findet aber auch Stoevesand, „die Stadtteile an der Graswurzel zu stärken“. Heike Haarhoff

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