: Abrißbirne über dem Olympiastadion
War die Arena 1993 noch recht für „Olympia 2000“, so scheint ihr Verfall heute nur billig. Im Streit ums Olympiagelände formiert sich der Angriff auf das Denkmal: Neubau statt Sanierung, fordern Sportfunktionäre ■ Von Rolf Lautenschläger
Alle vierzehn Tage kracht es im Olympiastadion. Zum einen, weil der Bundesligist Hertha BSC immer doller den Ball in die Maschen setzt. Zum anderen, weil dann 50.000 Fans die Bude bedenklich wackeln lassen. Was die einen freut, ängstigt das städtische Bauamt, dessen Mitarbeiter immer häufiger die Standsicherheit des über 60 Jahre alten Denkmals prüfen müssen. Denn der Zahn der Zeit nagt an der bröckelnden Arena. Die Verkleidung aus Muschelkalk hat er angefressen, Platten der Fassade von der Wand gesprengt. Die Betonarmierung rostet, was dazu geführt hat, daß die Ränge mit Stahlträgern abgestützt werden mußten.
Doch nicht nur der Zahn der Zeit zeigt sich als Widersacher des Olympastadions samt dahinterliegendem Maifeld. Weil weder der Bund als Eigentümer noch das Land als Nutzer des Stadions die über 600 Millionen Mark teure Sanierung finanzieren wollen, drängen immer mehr Stadiongegner auf den Abpfiff für das Baudenkmal, dem sie keine Zukunft als Sportstätte mehr zutrauen.
War das Olympiastadion 1993 noch recht für die Bewerbung „Olympia 2000“, so scheint sein Verfall heute nur billig. Ganz die Fußballweltmeisterschaft 2006 und die kommerzielle Nutzung einer Arena im Visier, fordert Berlins Fußballchef Otto Höhne „ein reines Fußballstadion“ auf dem Maifeld. „Die Sanierung des alten Stadions für moderne internationale Veranstaltungen ist nicht realisierbar“, so Höhne.
Auch Manfred von Richthofen, Präsident des Deutschen Sportbundes, plädiert für den Neubau einer Fußballarena. Es sei schwer vorstellbar, mit einer bloßen Renovierung der Betonschüssel die Fifa-Auflagen zur Ausstattung eines WM-Fußballstadions erfüllen zu können [siehe auch Interview]. Wenn es mit einer Entkernung schon nicht gelänge, aus dem alten Nazibauwerk eine veritable Zukunftssportstätte zu machen, die sich wirtschaftlich rechnet, bliebe nur der Neubau – und für das Stadion die „Colosseum-Lösung“.
In dieselbe Kerbe hauen Hertha-Präsident Manfred Zemaitat und Volker Liepelt, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU- Fraktion. Zemaitat: „Eine Sanierung würde den Rückbau auf 55.000 Plätze bedeuten.“ Das könne sich der aufstrebende Bundesligaverein nicht leisten, der ein 80.000-Plätze-Stadion im Auge habe.
Angeheizt wird der Neubau- Vorstoß nicht nur durch die WM- Bewerbung 2006, sondern auch von der derzeitigen Entwicklung, die Profivereine anpeilen. Das Vorbild bildet die „Amsterdam Arena“, ein privates, überdachtes 55.000-Zuschauer-Stadion des Vereins „Ajax“, die außer dem Kick jede Art von kommerziellen Events des Sport-, Dienstleistungs- und Mediengeschäfts zulassen.
Ob sich dabei ausreichend Rendite erwirtschaften läßt, muß sich erst noch beweisen. Tatsache ist, die Manager der Fußballvereine stilisieren die Klubs als zukünftige Aktiengesellschaften und Wirtschaftsfaktor für die Stadt und die Region. Sentimentalitäten wie der Denkmalschutz, die Geschichte der Spielstätte oder die kommunale Nutzbarkeit für andere Sportarten bleiben ausgeblendet.
Die Kritik von Leichtathletik- Fans kommt im Falle des Olympiastadions dabei so außenseitermäßig an wie die Platzierung von Läufern auf der Außenbahn. „Es gibt nicht nur Fußball in Berlin“, wettert Istaf-Veranstalter Rudi Thiel. Das Olympiastadion zu „schleifen“ würde den Großsportveranstaltungen, darunter die Leichtathletik-Schau Istaf, ein Ende bereiten.
Doch auch der Senat setzt mit seinem Auftrag für die private Entwicklungsgesellschaft Seebauer, die bis Anfang 1998 nach Investoren und einem wirtschaftlich tragfähigen Konzept Ausschau halten soll, weniger auf Erhalt als vielmehr auf einen Umbau des gesamten 130 Hektar großen Areals. Realistisch scheint die hochgerechnete Eine-Milliarde-Mark-Investition für Neu- und Ausbauten allerdings wenig, weil aus dem ehemaligen Reichssportfeld ein Superdom samt Tivoli, Wohn- und Dienstleistungsstandort entstehen müßte, damit für Investoren dort Rendite herausspringt.
So gesehen, bedeuten die Ansprüche der Denkmalpflege für das Olympiagelände noch die praktikabelste Variante. Ebenso wie der bündnisgrüne Sportexperte Dietmar Volk, der für „den Erhalt der Struktur und der Erscheinung des Olympiageländes“ sowie die behutsame Sanierung mit öffentlichen Mitteln plädiert, argumentiert auch der Landesdenkmalrat.
Für die Modernisierung des Olympiastadions, erklärt Denkmalschützer Klaus von Krosigk, sei „keine Mark Mehraufwand aufgrund denkmalpflegerischer Anforderungen erforderlich“. Vielmehr, so zeigten alle Gutachten, garantiere die behutsame Erneuerung, daß „eine Anpassung an zeitgemäße Standards wie für die Fußball-WM möglich ist“. In der Gunst der Konservatoren liegt deshalb der Vorschlag der AG Deyle und Bung vorn, der eine filigrane Dachkonstruktion über dem Stadionrund vorsieht und die rund 245 Millionen Mark kosten würde. Der Neubau, so fürchtet von Krosigk, bedeutete, daß „jede Mark für die Sanierung des vorhandenen Stadions fehlt“. Die Konsequenz wäre: die Ruine Olympiastadion.
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