: Der Aufstand der Boxer gegen die Barbaren
■ Neuausgabe des Berichts von Peter Fleming über den China-Aufstand gegen die Europäer
„China, Geschichte: ... die fremdenfeindliche Bewegung des Geheimbundes der Boxer gewann [gegen Ende des 19. Jahrhunderts] große Ausdehnung in Nordchina, bedrohte in Peking die Gesandtschaften der fremden Mächte und veranlaßte diese 1900/01 zu gemeinsamem Eingreifen.“
Soweit das dtv-Lexikon zum Boxeraufstand von 1900. Eine kleine Episode der europäischen Kolonialgeschichte.
Peter Fleming, Bruder des 007-Erfinders Ian Fleming, fand den Stoff in den fünfziger Jahren immer noch interessant genug, ihn zu einem Buch zu verarbeiten. Er hatte sich in den zwanziger und dreißiger Jahren einen Namen gemacht mit abenteuerlichen Expeditionen in den brasilianischen Dschungel und die mandschurische Steppe. Mit kaum zu überbietender stiff upper lip und dem Understatement der britischen Oberschicht – nie vergißt er, seine eigene Leistung herabzusetzen – hat er über seine Reisen geschrieben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird er bodenständiger, zieht sich auf den Familiensitz Nettlebed (=Nesselbett) zurück, erzieht seine zwei Söhne und wendet sich historischen Themen zu. Warum er ausgerechnet auf den chinesischen Boxeraufstand von 1900 verfiel, weiß selbst sein Biograph Duff Hart-Davis nicht zu sagen.
Fleming (1907 bis 1971) gehört zu jener Sorte pragmatisch denkender britischer Konservativer, die mit nationalem Chauvinismus nichts am Hut haben. So sehr er sich auch in einem früheren Buch gegen den in China aufkommenden Kommunismus gewehrt hat, so wenig Neigung zeigt er in seiner Darstellung des Boxeraufstandes, das arrogante Verhalten der europäischen Kolonialmächte zu entschuldigen. Die Vor- und Nachgeschichte des Aufstandes ist eine einzige Litanei westlicher Anmaßung und Habgier. Allein die „eklatantesten Verletzungen der chinesischen Souveränität“ ergeben eine Liste, die fast jedes Jahr einen Eintrag enthält.
An einer Verherrlichung chinesischer Tugenden ist Fleming allerdings genausowenig gelegen. Die Unfähigkeit insbesondere der chinesischen kaiserlichen Regierung, ihre Verkrustung und Intriganz haben einen erheblichen Teil zur Verschärfung der Situation beigetragen. Während sie die Diplomaten der europäischen Mächte beschwichtigte, heizte sie gleichzeitig das fremdenfeindliche Potential der „Boxer“ – in erster Linie arme, fanatisierte Bauern – an, um sie zum Sturm des diplomatischen Viertels in Peking zu bewegen – wohl wissend, daß sie langfristig keine Chance gegen die europäischen Mächte hatten.
Fleming kann spannend und mit lakonischer Ironie schreiben. Das unterscheidet seinen Bericht von der Abhandlung eines Historikers zum gleichen Thema. Das Nachwort zur Neuausgabe des Buches verweist zudem auf die Bedeutung des Boxeraufstandes für das chinesische Selbstverständnis bis in die Gegenwart. Stolz auf die patriotisch-revolutionäre Erhebung auf der einen, Trauma der totalen Niederlage auf der anderen Seite, verschuldet durch das kaiserlich-feudale System – so lautet die tonangebende kommunistische Deutung. Mag das Buch auch nur eine kleine Episode der großen Geschichte behandeln, eine lohnenswerte Lektüre für Leute, die gerne literarisch in Raum und Zeit reisen, ist es in jedem Fall. Martin Hager
Peter Fleming: „Die Belagerung zu Peking. Zur Geschichte des Boxeraufstandes“. Band 155 der Anderen Bibliothek. Eichborn Verlag 1997, 372 Seiten, 49,80DM
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