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Mutter Courage sagt nichts mehr

Regine Hildebrandt hat es nach ihrem jüngsten Skandal die Sprache verschlagen. Aber nicht nur die SPD steht zu der populären Brandenburger Sozialministerin  ■ Von Severin Weiland

Clemens Appel ist nicht zu beneiden. In diesen Tagen muß der Staatssekretär im Brandenburger Arbeits- und Sozialministerium zerknirscht Schlampereien seiner Behörde zugeben und dabei zugleich darauf achten, Schaden von seiner Vorgesetzten abzuwenden. Keine einfache Aufgabe für den früheren Richter aus Westdeutschland. Schließlich hat ein interner Bericht des Brandenburger Landesrechnungshofes Regine Hildebrandt schwer in Bedrängnis gebracht. Vergangene Woche mußte Appel einräumen, daß rund 30 Millionen Mark weitgehend ohne Ausschreibung an die Beraterfirma BBJ geflossen waren. Und auch sonst wurde wenig Mühe darauf verwandt, die Vergabe von Fördergeldern zu prüfen. In Potsdam reagiert Appel mit einem hilflosen Stoßseufzer auf Fragen nach der Arbeits- und Sozialministerin: „Sie kennen sie ja.“

Die Journalisten wußten, was gemeint war. Regine Hildebrandt ist für ihre Abneigung gegen Bürokraten sattsam bekannt. Ob es nicht ein bißchen schneller und einfacher ginge, ist ein oft gehörter Satz in ihrer Verwaltung. Sie macht mächtig Dampf – zur Freude der Bevölkerung, aber nicht selten zum Verdruß ihrer Mitarbeiter, die Versprechungen ihrer Ministerin schon mehrfach auf das rechtlich Machbare zurückstufe mußten. Eine Nichtjuristin wie Hildebrandt müsse nicht alle Vorschriften im Kopf haben, wenn sie politisch etwas bewegen wolle, meint ihr Staatssekretär.

Die Freizügigkeit im Hause Hildebrandt entlockte der CDU süffisante Bemerkungen. Es sei schon ungewöhnlich, hieß es, daß Haushaltsbestimmungen vernachlässigt werden, wo doch eine ganze Riege von erfahrenen Westjuristen im Hause beschäftigt sei. Ministerpräsident Manfred Stolpe, wegen wiederholter Stasi-Vorwürfe selbst krisenerprobt, nimmt das laxe Verhalten der Mitarbeiter vorsorglich in Schutz: Wenn Beamte in den „Aufbaujahren strikt paragraphentreu gehandelt hätten, wäre vieles verkommen“. Ein Satz, der für viele im Westen der Republik die Verschwendungssucht des Ostens bezeugt, im Armenhaus Brandenburg jedoch auf Zustimmung stoßen dürfte.

Während Staatssekretär Appel eine „Offensive der Offenheit“ verkündet und nebenbei auch noch eingesteht, daß seit 1991 fast alle Verwendungsnachweise im eigenen Hause ungeprüft blieben, überrascht Hildebrandt die Öffentlichkeit in einer ungewohnten Rolle. Die wortgewaltige Frau, von vielen Brandenburgern einfach nur „das Maschinenegewehr“ genannt, schweigt. Eine erste Bewährungsprobe überstand die 56jährige auf dem SPD-Parteitag vergangene Woche in Hannover.

Die meiste Zeit über blieb sie stur auf dem Podium sitzen und mied jeglichen Kontakt mit den Journalisten. Wolfgang Thierse, stellvertretender SPD-Chef, hatte ihr geraten, sich einige Zeit mit Äußerungen zurückzuhalten. Denn einmal in Fahrt, so die Sorge auch anderer wohlmeinender Genossen, würde Hildebrandt sich womöglich um Kopf und Kragen reden. Die Partei stand ihr in Hannover tröstend zur Seite. Als müsse der Welt da draußen vor den Hallentoren bewiesen werden, daß die „Mutter Courage des Ostens“ wegen einiger ungeprüfter Verwendungsnachweise nicht einfach fallengelassen wird, wurde Hildebrandt mit dem besten Ergebnis aller Kandidaten in den Vorstand gewählt.

Die Brandenburger SPD wird das Signal aus Hannover gehört haben. Ob es ihr zu Hause nützt, steht dahin. In Potsdam schleppen sich die Sozialdemokraten von einer Affäre zur nächsten. Erst vor zwei Wochen war Agrarminister Edwin Zimmermann zurückgetreten. Auch da ging es um Fördergelder, die einer Bäckerei aus Zimmermanns Familienbetrieb bewilligt wurden – erstaunlich unbürokratisch und schnell.

Noch leuchtet der Stern Regine Hildebrandts über dem dunklen Firmament der Brandenburger SPD. Er sei sicher, sagt Stolpe, daß sich seine Arbeitsministerin persönlich nichts vorzuwerfen habe. Es ist in der Tat kaum vorstellbar, daß die stets auf moralische Prinzipien pochende Ministerin irgend etwas anderes im Sinn gehabt hat, als die Sozial- und Jugendprojekte in Brandenburg mit rascher Hilfe über Wasser zu halten. Das Ministerium hat sie darüber aber sträflich vernachlässigt. Ihr ehemaliger Gesundheitsstaatssekretär Detlef Affeld steht im Februar in Potsdam wegen gemeinschaftlicher Untreue vor Gericht. Ihm und drei weiteren Mitarbeitern des Hildebrandt-Ministeriums wird vorgeworfen, 20 Millionen Mark an Gesundheitsvereine umgeleitet zu haben. Ob Hildebrandt auch Fördergelder über mehrere Millionen Mark wissentlich in einem Schattenhaushalt bunkerte, um sie nicht am Jahresende zurückgeben zu müssen – was ihr immer noch als gute Tat ausgelegt werden könnte –, wird vom Landesrechnungshof geprüft.

Die Opposition im Potsdamer Landtag ist gespalten. Die PDS hält sich mit Vorwürfen zurück. Nach wie vor genießt Hildebrandt, die sich vor einiger Zeit einer schweren Krebsoperation unterziehen mußte, große Sympathien in der Brandenburger Bevölkerung. Allein die Christdemokraten scheinen irgendwie erleichtert zu sein. Die Fraktion kann Entlastung gut gebrauchen. Nirgendwo sonst im Osten haben sich Christdemokraten derart tief zestritten und bekriegt wie in Brandenburg.

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