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Täter und Opfer in Kioto

Die Konferenzregie in Japan plazierte den Präsidenten einer bedrohten Südsee-Insel direkt vor US-Vize Al Gore  ■ Aus Kioto Matthias Urbach

Eine ungleiche Begegnung: Hier der freundliche Präsident der Pazifikinsel Nauru, dort der selbstbewußte Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Beide saßen sie gestern nebeneinander auf dem Podium in der Konferenzhalle Kiotos, beiden gehörte gestern die ungeteilte Aufmerksamkeit der Delegierten. Weil bei der Klimakonferenz im japanischen Kioto alle den US-Vizepräsidenten hören wollten, hatte auch der unmittelbar vor dem Amerikaner plazierte Südseeinsulaner einen großen Auftritt. Wer keinen Platz in der Halle fand, stand vor einem der Monitore in den Fluren. Während Gore von der „Extrahitze, die nicht entweichen kann“, sprach, von den „Krankheiten“ und „schmelzenden Gletschern“, redete Clodumar über seine ureigenen Ängste: vom „kulturellen Völkermord“, denn „keine Nation hat das Recht, seine eigenen fehlgeleiteten Interessen vor das physische und kulturelle Überleben ganzer Länder zu stellen.“ Was für Gore nur abstrakt ist, ist für Clodumar konkret: Die Bedrohung durch das Ansteigen des Meeresspiegel. „Wir sind gefangen, wüstes Land in unserem Rücken und vor uns eine Flut biblischen Ausmaßes.“ Kinza Clodumar sprach den US-Vize in seiner Rede direkt an: „Mr. Gore, wir warten auf ihre Ankündigungen mit angehaltenem Atem.“ Eine Antwort erhielt er nicht.

Überhaupt sagte Al Gore wenig Neues. Allein dieses: „Clinton und ich, wir haben die Telefondrähte zum Glühen gebracht und neue Ideen beraten. Ich weise daher unsere Delegation sofort an, eine größere Flexibilität in den Verhandlung zu zeigen“ – falls so ein Protokoll erreicht werden könne, das „realistische Ziele, Marktmechanismen und eine bedeutungsvolle Beteiligung von Schlüssel-Entwicklungsländern“ beinhalte.

Die Zuhörer waren überwiegend enttäuscht: „Er hat die Chance verpaßt, die US-Position vorwärtszubringen“, urteilt der Greenpeace-Klimadirektor Bill Hare. Noch pessimistischer äußerte sich das deutsche Delegationsmitglied Albert Schmidt (Bündnis 90/ Die Grünen): „Die Bedingungen Gores sind unannehmbar, ein Protokoll, das die von den USA gewünschten Schlupflöcher enthält, wäre kein Beitrag zur Lösung.“ Bundesumweltminister Angela Merkel (CDU) gab sich gelassener: „Ich hatte wenig Illusionen über die Rede von Al Gore und wurde daher auch nicht enttäuscht.“

Lediglich einige US-Umweltverbände waren optimistischer: „Ich hoffe, daß Al Gore die Verhandlungen wiederbeleben kann, denn sie sind beinahe tot“, sagte Dan Becker vom US-Ökoverband Sierra Club. Nur Gore könne mit Clinton aushandeln, daß es doch noch US-Reduktionen bis 2010 gebe. Bislang war die USA recht unbeweglich. „Es ist verrückt: Weil die USA die meisten Emissionen ausstoßen, haben sie in diesen Verhandlungen auch die meiste Macht“, beschreibt der Mexikaner Gerardo Altorre von CAN-Lateinamerika das eigentliche Dilemma der Verhandlungen. Vor einem Dilemma standen gestern auch die Journalisten. Was eigentlich war denn nun die Nachricht des Tages? Vielleicht hätten sie sich mehr um den Präsidenten Kinza Clodumar kümmern sollen.

Doch der Unterschied in der Bedeutung der beiden drückte sich auch in ihren eigenen kleinen Gesten aus: Gore klopfte Clodumar nach dessen Rede lässig beim Händeschütteln auf die Schulter. Der Inselpräsident dagegen stand extra auf, um dem Weltmacht-Vizepräsidenten zu beglückwünschen.

Anders als der große Stab, den Gore hinter sich weiß, muß Clodumar einen Londoner Anwalt mieten, um sich bei den Verhandlungen helfen zu lassen. Manchmal findet man aber die guten Argumente auch beim Gegener: „Neue Studien des World Resource Instituts und der US-Umweltbehörde EPA prognostizieren beinahe eine Million Tote pro Jahr durch die Folgen der Treibhausgasemissionen – vor allem in Entwicklungsländern“, erklärte der Präsident. Seine Insel hat schon einige Erfahrungen mit fremden Umweltzerstörungen gemacht: Der Abbau von Phosphor, „gestartet von Kolonialmächten“, habe große Teile seines Landes zerstört. „Das 20. Jahrhundert war nicht sehr freundlich zu unserer Insel.“ Es sieht so aus, als könnte das 21. noch unfreundlicher werden.

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