: "Zwischen Kinderspiel und Gefahr"
■ Sicherheitsbehörden sprechen nach dem vereitelten Anschlag zweier Neonazis auf ein PDS-Mitglied von einer neuen Dimension rechtsextremer Gewalt. PDS-Landesvorsitzende Petra Pau warnt vor "wandelnden Zeitb
Die Gefahr rechtsextremen Terrors in der Stadt wächst. Wie Sicherheitsbehörden gestern nach der Entdeckung eines Anschlagsplanes zweier Mitglieder der rechtsextremen Kameradschaft Treptow auf ein PDS-Mitglied sagten, hat die neonazistische Gewalt eine neue Dimension erreicht. Innenstaatssekretär Kuno Böse sagte der taz: „Bei der Vereitelung des Anschlags hat sich eine neue Qualität gezeigt. Mitglieder von Kameradschaften gehen ganz offensichtlich von der theoretischen Diskussion zur praktischen Tat über.“
Nach Einschätzung von Kuno Böse hat sich nicht nur die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten erhöht, „sondern auch die Qualität der Straftaten“. „Die Warnsignale stehen auf Rot“, so der Staatssekretär. Man habe zwar auch in der Vergangenheit immer wieder gewarnt, daß man es mit einem neuen Phänomen zu tun habe, aber bisher keine rechtsterroristische Entwicklung gesehen. Der jetzige Ermittlungserfolg zeige, daß der Verfassungsschutz die Kameradschaften scharf beobachten müsse.
Auch der Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Eduard Vermander, nannte den vereitelten Anschlag eine „neue Dimension“. Nachdem bereits bekannt war, daß Kameradschaften Daten politischer Gegner sammelten, würde sich dies jetzt mit dem Anschlagsplan verbinden. Die Polizei prüft derzeit noch, ob auch bei den am Montag verhafteten Neonazis, gegen die Anklage wegen Vorbereitung und Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion erhoben wird, Daten politischer Gegner gespeichert waren.
Noch hat sich keine rechtsterroristische Szene in der Hauptstadt formiert. Ein Sicherheitsexperte sagte jedoch, man gehe davon aus, daß der geplante Anschlag sich „an der Grenze zwischen dem Kinderspiel und ernstzunehmender Gefahr“ bewege.
Für die PDS bedeutet der am Montag entdeckte Anschlagsvorsatz eine konkrete Gefahr. Mit Blick auf den jüngst in Lübeck verurteilten Polizistenmörder, den Berliner Rechtsextremisten Kay Diesner, sagte die Landesvorsitzende Petra Pau: „Es ist zu befürchten, daß noch viel mehr dieser ,lebenden Zeitbomben‘ herumlaufen.“ Angesichts der Pläne der Treptower Neonazis sagte sie: „Es ist eine neue Qualität, daß jetzt auch Leute zum Ziel werden, die nicht im Rampenlicht stehen.“ Man wolle eine Panik innerhalb der Partei verhindern, damit nicht „jedes unserer 19.500 Mitglieder sich bedroht fühlt“. Der mit dem Anschlag bedrohte PDSler – ein Mitglied der Jungen Genossen in Treptow – sagte, er könne sich nicht erklären, warum er Ziel des Anschlags werden sollte. Er habe auch keine direkte Konfrontation mit Rechtsextremisten in Treptow gehabt.
Die Ermittlungsbehörden hatten bei den Beschuldigten am Montag im Rahmen einer Razzia gegen die Mitglieder rechtsextremer Kameradschaften neben einem Karabiner und einem abgesägten Revolver auch Materialien zur Herstellung einer Rohrbombe gefunden. Zur Vorbereitung sollen die beiden bereits zwei Probesprengungen durchgeführt haben. Einer der Beschuldigten, der 17jährige Patrick D., hatte gestanden, den Anschlag zu planen. Der zweite, der 20jährige Carsten M., hat bislang die Aussage dazu verweigert.
Die Sicherheitsbehörden waren nicht ganz zufällig auf dier Bombenbastler gestoßen. Zwar betonte Justizsprecherin Michaela Blume, der Anlaß der Razzia seien Aufkleber mit Hakenkreuzen und SS- Runen gewesen, die Kameradschaftsmitglieder verteilt hätten. Die Ermittler jedoch wußten, daß sie bei der Razzia mehr als nur Aufkleber finden würden. Barbara Junge
Interview Seite 22
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