Merkels Mauscheleien

■ Umweltministerium kann Vertuschung von Leukämierisiko nicht ausräumen

Hannover (taz) – Das Bundesumweltministerium hat Täuschungsvorwürfe im Zusammenhang mit der großangelegten Studie zu Kinderleukämie in der Nachbarschaft von AKWs erwartungsgemäß zurückgewiesen. Ein Sprecher von Angela Merkel bestätigte gestern allerdings, daß die Studie des Mainzer Epidemiologen Jörg Michaelis im Fünf-Kilometer- Radius um die bundesdeutschen AKWs für Kinder unter fünf Jahren ein um den Faktor 2,87 erhöhtes Leukämierisiko ausweist. Dieser Risikowert ergäbe sich jedoch nur für den gesamten Untersuchungszeitraum von 1980 bis 1995, sagte der Ministeriumssprecher.

Für diesen Zeitraum sei die diagnostizierte Risikoerhöhung statistisch hochsignifikant. Betrachte man allerdings nur den Zeitraum 1991 bis 1995, falle die Risikoerhöhung für Kinder unter fünf Jahren wesentlich geringer aus und sei nicht mehr signifikant. Wenn man außerdem für diesen Zeitraum die Erkrankungen um das AKW Krümmel nicht berücksichtige, sei überhaupt kein erhöhtes Risiko mehr feststellbar. Aus diesen Gründen sei es gerechtfertigt, daß diese Risikoerhöhung für kleine Kinder in die Pressemitteilung und die Zusammenfassung der Studie keinen Eingang gefunden hätte. Das Bundesumweltministerium habe weder unangenehme Ergebnisse der Studie unterdrücken wollen, noch habe es auf deren Design oder auf die Zusammenfassung der Ergebnisse Einfluß genommen, so der Ministeriumssprecher. Diese Stellungnahme des Bundesumweltministeriums straft jedoch erneut die der Presse präsentierte Zusammenfassung der Leukämiestudie Lügen, in der für die „Gesamtanalyse“ – also für den gesamten Untersuchungszeitraum 1980 bis 1995 – „statistisch siginifikante“ Risikoerhöhungen generell in Abrede gestellt werden. Aufgrund der mit Ausnahme von Krümmel sehr dünnen Besiedlung im Fünf-Kilometer-Radius geht es bei der verschwiegenen Risikoerhöhung um eine relativ geringe Zahl von Fällen. Zwischen 1980 und 1995 sind im AKW-Nahbereich insgesamt 31 Kinder unter fünf Jahren an Leukämie erkrankt. In den Kontrollgebieten ohne AKW, die in der Studie für jedes Kraftwerk ausgewählt wurden, erkrankten im gleichen Zeitraum insgesamt neun Kinder. Von den 10 Leukämieerkrankungen um das AKW Krümmel bezieht die Studie im Auftrag des BMU aus methodischen Gründen nur acht ein. Von diesen Kinder erkrankten fünf im Alter unter fünf Jahren. Auch ohne das AKW Krümmel einzubeziehen, ergibt sich damit ein deutlich erhöhtes Leukämierisiko für kleine Kinder im AKW-Nahbereich.

Der Bremer Epidemiologe Professor Eberhard Greiser kritisierte gestern die Methode, mit der das BMU das Leukämierisiko geringrechnet, als „methodisch hanebüchen und wissenschaftlich unzulässig“. Medizinisch sei es plausibel, daß Krebs durch ionisierende Strahlen gehäuft in Nähe der Strahlenquelle und bei den Empfindlichsten, den kleinen Kindern, aufträte. Jürgen Voges