: Neue Folgen der Lerchenstraße
Hamburger Polizeiskandal geht weiter: Neue Vorwürfe gegen Beamte der Davidwache und Razzia im Lerchenstraßen-Revier ■ Von Marco Carini
Schwerstarbeit für das Dezernat interne Ermittlungen (DIE). Gestern vormittag rückten dessen Beamte mit einem Durchsuchungsbefehl in der Wache 16 an der Lerchenstraße (St. Pauli) an. Eine halbe Stunde lang filzten sie Spind und Arbeitsplatz eines Polizisten, dem vorgeworfen wird, gemeinsam mit einem Kollegen einen Schwarzafrikaner mißhandelt zu haben. Zeitgleich wurde auch die Wohnung des Beschuldigten nach Beweismitteln durchsucht.
Ob die Beamten fündig wurden, darüber schweigt sich Staatsanwalts-Sprecher Rüdiger Bagger aus, „um die Ermittlungen nicht zu gefährden“. Nach seiner Auskunft wird den beiden Polizisten vorgeworfen, am 14. November „Körperverletzung im Amt“begangen zu haben. Sie und drei Kollegen – die offenbar Kenntnis von dem Fall hatten – wurden an andere Wachen versetzt. Der betroffene Afrikaner hatte am Tatabend Anzeige erstattet. Er sei von einer Zivilstreife zunächst in Gewahrsam genommen, dann aber im Freien ausgesetzt worden. Dort sollen die Beamten den Mann geschlagen haben. Die Folge: Prellungen und eine geplatzte Oberlippe.
Der vermeintliche Übergriff ist kein Einzelfall. Auch nach der parlamentarischen Abwicklung des Polizeiskandals erhält DIE fast täglich Kenntnis von behaupteten Gewalttätigkeiten durch Beamte. Allein in den vergangenen zwölf Monaten ermittelte DIE in 243 Fällen gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt. 110 Verfahren wurden mittlerweile eingestellt.
Längst nicht alle Übergriffe gehen mit purer Gewalt einher. So stellte der Gambier Alasan N. vor wenigen Tagen Strafanzeige wegen Nötigung und Freiheitsberaubung gegen Beamte der Davidwache an der Reeperbahn. Zwei Polizisten sollen ihn ohne Angabe von Gründen am 20. Oktober aufgefordert haben, die Hafentreppe zu verlassen. Als er der Aufforderung nicht augenblicklich nachkam, wurde er in die Wache verfrachtet.
Dort sei er erst mit rassistischen Äußerungen beleidigt und anschließend gezwungen worden, sich auszuziehen. Da den fünf anwesenden Beamten die Entkleidung nicht schnell genug ging, soll der Gambier zu Boden gebracht und ihm der Arm auf den Rücken gedreht worden sein. Mehr als vier Stunden mußte der 32jährige, bei dem weder Drogen noch andere auf eine Straftat hinweisende Besitztümer gefunden wurden, in der Zelle verbringen. Den Grund erfuhr er nicht. Auch seine Frau, der er versprochen hatte, das gemeinsame Kind abzuholen, durfte Alasan N. nicht anrufen.
Erst vor wenigen Tagen war bekannt geworden, daß Beamte der Davidwache am 4. Oktober dieses Jahres einen Mann ungerechtfertigt in Gewahrsam genommen und geschlagen haben sollen. Der 33jährige hatte im Halteverbot geparkt und war nach einem Streit mit einer Beamtin in die Wache gestürmt, um deren Dienstnummer zu erfahren. Dort bekam er nach eigener Aussage Handschellen angelegt und einen Fausthieb ins Gesicht verpaßt.
Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) war zwar postwendend über den Vorfall informiert worden, hatte ihn aber nicht öffentlich gemacht. Das kann Ärger geben: Denn bei dem Mißhandlungsopfer handelt es sich nicht um einen Schwarzafrikaner, sondern um Freiherrn Bernhard von der R., Sproß einer der ältesten deutschen Adelsfamilien.
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