: Nur die Abiturienten gehen zur Schule
■ Streik an zwanzig Schulen. Streikenden Lehrern droht das Schulamt
Während die einen jetzt in den Streik treten, drücken die anderen schon wieder die Schulbank: Gymnasiasten in Hellersdorf schließen sich heute dem Streik der Studierenden an, das Charles-Darwin- Gymnasium in Mitte dagegen hat gestern den normalen Schulbetrieb wiederaufgenommen. Unterrichtsausfall, Lehrermangel, veraltete Schulbücher – insgesamt zwanzig Schulen befinden sich derzeit im Streik gegen die Kürzungen im Bildungsbereich. Vor allem die Schüler im Westteil der Stadt engagieren sich. „Das liegt wohl daran, daß die Schülervertretungen im Osten noch nicht so entwickelt sind“, sagt Peter Hartig von der LandesschülerInnenvertretung.
Schülern, die sich während des Unterrichts an Streiks und Demonstrationen beteiligen, droht der Eintrag unentschuldigter Fehltage ins Klassenbuch und im Zeugnis. Per Rundschreiben hat das Landesschulamt die Schulleitungen dazu aufgefordert, bis zum 19. Dezember die Namen der Lehrer mitzuteilen, die während der Protestaktionen am 1. Oktober dem Dienst unentschuldigt fernblieben. „Sie müssen mit disziplinarrechtlichen Maßnahmen rechnen“, sagt Bettina Martin, Sprecherin der Schulverwaltung. Der Fehltag werde vom Gehalt abgezogen. Wegen der angedrohten Sanktionen müssen die Lehrer auch an den bestreikten Schulen weiter Unterricht anbieten. Doch nur ein Bruchteil der Schüler nimmt ihn wahr – in den meisten Fällen, weil das Abitur bevorsteht oder weil die Eltern es so wollen. Am Berlin- Kolleg in Tiergarten soll bis Freitag gestreikt werden. Schüler des Max-Reinhardt-Gymnasiums in Hellersdorf diskutieren heute um 11 Uhr mit Lokalpolitikern über Bildung. Kreuzberger Gymnasiasten blockierten gestern kurzzeitig den Verkehr am Hermannplatz. „Ein Großteil der Schüler ist für den Streik“, berichtet Rami Kablaoui vom Hermann-Hesse- Gymnasium. Für die, die nicht streiken wollen, gibt es Alternativunterricht: Studenten diskutieren mit Schülern über Bildungspolitik.
„Teilweise müssen wir zu dritt an einem Tisch sitzen, Stühle fehlen oder sind kaputt“, klagt die 13jährige Jana Drews von der Steglitzer Beethoven-Oberschule. „Manche Schulbücher sind von 1973.“ Mit nur 32 Gegenstimmen beschlossen die knapp 900 Schüler gestern den Streik – vorerst bis Mittwoch. Mit Flugblättern, Liedern und Plakaten machen sie die Leute im Kiez auf ihre Lage aufmerksam – übrigens auch außerhalb des Unterrichts. „Durch den Lehrermangel fehlen uns 69 Stunden pro Woche“, berichtet Lena Foljanty und verweist auf Unterrichtsausfall und Schimmelflecken an der Decke einiger Klassenzimmer.
Bei den Lehrern stoßen die Streikenden zum großen Teil auf positive Resonanz. Es müßten mehr junge Lehrer eingestellt werden, begründet Stefan Janiszewski seine Sympathie für die Aktionen. Der Altersdurchschnitt liegt an der Beethoven-Schule bei fünfzig – „mit meinen 38 Jahren bin ich einer der Jüngsten“. Josefine Janert
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