: Neues vom täglichen Rassismus
■ Ein nützliches Kompendium zu den gesetzlichen Grundlagen, zur täglichen Praxis und zur politischen Beurteilung der Abschiebungshaft
„Die Ausgestaltung der Abschiebungshaft“ in Deutschland ist „als überwiegend rechtswidrig zu bezeichnen“. Dies ist die These des Münchner „Pro Asyl“-Rechtsanwaltes Hubert Heinold. Sein Buch stellt Fakten und Anschauungsmaterial zu dieser These zusammen.
Im ersten Teil porträtiert Heinold in knappen Skizzen die rechtliche und institutionelle Ausführung von Abschiebehaft in den einzelnen Bundesländern. Da die Zuständigkeit für Abschiebehaft Ländersache ist, gibt es beträchtliche Unterschiede in den Haftbedingungen; zum Beispiel im Hinblick auf Taschengeld, Betreuung, Besuchszeiten und Unterbringung in normalen JVAs oder in Sondergefängnissen. Ergänzt werden diese Skizzen durch Gesetze oder Ministeriumsanweisungen, die die Abschiebehaft regeln, sowie einige Gefängnisordnungen.
Dies mag für manche Leser ermüdend scheinen. Aber nicht nur für Aktivisten aus der Flüchtlingsarbeit, sondern für alle, denen an einer gediegenen politischen Argumentation in Sachen Asyl gelegen ist, bietet der Band eine wertvolle Materialsammlung. Wenn beispielsweise die Häftlinge in Berlin und Bremen den vollen Taschengeldsatz ausgezahlt bekommen, ist nicht einzusehen, warum ihnen dies in Bayern und Baden- Württemberg verweigert wird.
Im zweiten Teil über die „Abschiebungshaft in der Praxis“ kommen Schilderungen von Flüchtlingen und UnterstützerInnen zu Wort. Die Flüchtlinge verstehen nicht, warum sie inhaftiert sind, sie klagen über mangelnde Information, über den Verlust von Eigentum bei der Festnahme durch die Polizei und über diskriminierende Bedingungen des Gefängnisalltages wie zum Beispiel fehlende Waschmöglichkeiten. Hier wird der alltägliche Rassismus gegen MigrantInnen anschaulich, der eine seiner zynischen Pointen darin hat, daß Häftlinge, die Vermögen besitzen, für die Kosten der Haft und der Abschiebung auch noch zahlen müssen. So kostet eine 38tägige Haft mit anschließender Abschiebung nach Nigeria (inkl. Personal- und Fahrtkosten mit dem Polizeiwagen) 4.651,83 Mark.
Im Anhang werden Stellungnahmen zur Abschiebehaft von verschiedenen Institutionen (UNHCR, Diakonisches Werk u.a.) abgedruckt, die alle die gegenwärtige Praxis der Abschiebehaft deutlich ablehnen. Daß diese Voten – aus einem durchaus breiten gesellschaftlichen Spektrum – von den Politikern bisher ignoriert werden konnten, liegt sicher auch an der geringen Präsenz des Themas im öffentlichen Bewußtsein. Dem abzuhelfen hat Heinold diesen ersten Gesamtüberblick über Abschiebehaft in Deutschland vorgelegt. Ein nützliches Unternehmen, dem hoffentlich weitere folgen werden, zumal Heinold bei weitem nicht alles aufgegriffen hat, was zu dem Thema bekanntgeworden ist. Christoph Fleischmann
Hubert Heinold: „Abschiebungshaft in Deutschland. Eine Situationsbeschreibung“. Hg. v. Pro Asyl und dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, Karlsruhe. Loeper Verlag, Karlsruhe 1997, 196 Seiten, 26,80 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen