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The Party is over – die Putte trotzt der Pleite

Multikulti macht einsam: Wie das erfolgreichste Berliner Ausländerprojekt seinen 25sten Geburtstag feiert  ■ Von Eberhard Seidel-Pielen

Jubilare sehen anders aus. Samstag abend, Viertel nach sieben, Berlin-Wedding. Die Feier hat begonnen, im Festsaal herrscht Totentanz. Zwei Luftballons baumeln von der Decke und verkünden den Anlaß: „25 Jahre Putte“. Darunter sitzen verloren die Mitarbeiter des ältesten Ausländerprojekts Berlins. Mit gespielter Lockerheit stoßen sie auf das Vierteljahrhundert an und schielen verstohlen in Richtung Eingang. Doch durch die weit geöffnete Tür des Cafés dringt nichts als feuchtkalte Zugluft.

Es ist einer jener Momente, wo ein Unbehagen zur Gewißheit wird: Du bist auf der falschen Party! Während das Hirn fieberhaft nach Entschuldigungen für einen vorzeitigen Aufbruch sucht und der Blick fassungslos über das Buffet schweift – Bulettenberge, rote Bohnen und Nudelsalat für mindestens 200 Leute –, durchbricht eine etwas verunsicherte Stimme die Stille. „Das Interesse an Multikulti ist ausgelutscht. Die Mitarbeiterinnen sind ausgelaugt.“ Christina Hofmann, eine der Gastgeberinnen, kommentiert den Stand der Dinge. Knapp ein Jahr arbeitet die Pädagogin im Jugendladen der Putte. So jung und schon so ausgebrannt.

Ein noch nicht eingelöster Getränkegutschein hemmt den Fluchtimpuls. So bleibt Zeit für den unvermeidlichen Frontbericht. Wie gefährlich fremd sind sich Deutsche und Ausländer in Berlin-Wedding geworden? „Nach dem Sommer hat die Gewaltbereitschaft unter den türkischen Jugendlichen enorm zugenommen“, setzt Christina mit besorgter Miene an. Stopp! Bitte! Interessiert diese Sozialarbeiterklage noch? Hat zugenommen... immer mehr... immer brutaler... Kennen wir schon! „Wieso ausgerechnet nach dem Sommer?“ – „Na ja, die Hälfte unserer Jugendlichen hat keine Lehrstelle gefunden. Manche Jungs drehen auf wie Stiere, denen man ein rotes Tuch vorhält.“ – „Und weiter?“ – „Deutsche Jugendliche kommen gar nicht mehr in den Laden. Mädchen auch nicht. Nur türkische Jungs.“ – „Und die Politiker?“ – „Kann man vergessen!“ - „Natürlich, aber warum?“ – „Auf der einen Seite beklagen sie die steigende Jugendkriminalität, gleichzeitig werden weitere Jugendläden geschlossen. Wir können froh sein, wenn ein Lokalpolitiker die Jugendarbeitslosigkeit überhaupt noch wahrnimmt.“

Es ist halb acht, und es nieselt im Wedding. Ein Ehepaar wagt den Schritt in das leere Café und wird für seinen Mut per Handschlag und mit zwei Getränkegutscheinen begrüßt. Zeit für einen Blick zurück.

Früher war alles anders, irgendwie besser, geordneter. Zum Beispiel vor zehn Jahren am gleichen Ort. Multikulti, Internationalismus und Antifaschismus waren für liberale Bürger noch sexy, der fünfzehnte Jahrestag der Putte deshalb willkommener Anlaß, um zu zeigen: Ich gehöre dazu. Sie kamen alle. Die Stadtteilaktivisten, weil Ausländer irgendwie noch klasse waren und es lecker türkisch zu essen und einen Anlaß zum Trinken gab. Die Sozialdemokraten und Bezirkspolitiker, weil sie die Putte anfangs so mies behandelt hatten, die sich nun so toll um die Integration der Türken verdient machte. Auch hatte man noch Geld zum Verteilen und ließ deshalb keine Gelegenheit aus, sich im Glanz der Erfolgreichen zu aalen. Die Medien kamen, weil sich die Welt noch recht einfach in Gut und Böse unterteilen ließ. Die Putte war zweifelsfrei gut. Und den Mitarbeiter fiel es leicht, der Welt stolz mitzuteilen: „Wir arbeiten mit einem Konzept, das die gesamte türkische Familie anspricht. Jedem Familienmitglied werden in der Vorschule, der Mädchen- und Frauengruppe, dem Schüler- und Jugendladen sowie dem ,rat-haus‘ Angebote gemacht.“

Natürlich hatte auch die behagliche Ordnung ihre dunklen Seiten. Enver, in den frühen Siebzigern ein gefürchter Bandenführer im Wedding, dann Puttezögling, inzwischen geläutert und ehrenwerter Handwerker, teilte am Rande des fünfzehnjährigen Jubiläums sein Unbehagen mit: „Es wird in der Putte viel über Ausländerfeindlichkeit geredet, klar, da sie von der Politik geschürt wird. Aber die Diskussion ist sehr einseitig. Organisationen wie die Putte müssen auch über die Deutschfeindlichkeit der Türken reden. Im Wedding sind über siebzig Prozent der Türken gegen Deutsche eingestellt. Die Gründe hängen mit Nationalismus, Religion und der Isolation zusammen.“ Das paßte so überhaupt nicht in die Zeit und blieb deshalb zehn Jahre ungehört. Heute diskutiert das Land den Krampf der Kulturen. Aus der Kiezbeobachtung eines Schreiners wurde eine Schicksalsfrage, die die Nation bewegt.

1997 ist nicht 1987. Alles ist furchtbar kompliziert und der multikulturelle Optimismus allgemeinem Trübsinn gewichen. Das macht einsam. Es ist kurz vor acht. Kein Bezirkspolitiker weit und breit. Keine Presse. Stadtteilaktivisten gibt es im Wedding nicht mehr. Nur ein paar türkische Jungs und Mädels, die mit dem Versprechen auf eine kostenlose Fete angelockt wurden, verlieren sich im Saal. „Wir arbeiten nur noch mit einem Notprogramm“, gibt Martina Nürenberg, Mitarbeiterin der Vorschule, zu Protokoll. „Den Mitarbeiterstamm mußten wir von fünfzehn auf sieben Leute zusammenstreichen. Letztes Jahr wurde die Mädchen- und die Frauengruppe geschlossen, ebenso die Beratungsstelle. Den Jugendladen mußten wir auf ein Viertel der ursprüngliche Größe verkleinern.“ Nun ist die Rumpfmannschaft viel zu klein, um den viel zu großen Dampfer auf Kurs zu halten.

Verwahrlosung, ein hoher Ausländeranteil, Jugendgangs, all das, was Sozialarbeiter heute herausfordert und was – schrill aufbereitet – eine unsichere Öffentlichkeit verängstigt, sind für den Wedding nichts Neues. Auch 1972 waren in dem größten innerstädtischen Sanierungsgebiet Europas die Lebensverhältnisse bedrückend. Häuser wurden entmietet und vorübergehend mit türkischen Familien belegt. Auf 2.745 Kinder im Alter von 10 bis 12 Jahren kamen 7.000 Quadratmeter Spielfläche. Und türkische Jugendliche, die von ihren Familien in Berlin nachgeholt wurden, standen nicht nur unter einem Kulturschock: Sie drehten auf.

Einer von ihnen war Enver, der scharfsinnige Handwerker. „Ende 1972 kam ich als Sechzehnjähriger nach Berlin und habe gleich mit sieben anderen eine Bande gegründet. Wir waren sehr aggressiv, es hat oft Schlägereien gegeben.“ Die Gruppe, die bald dreißig Mitglieder hatte, klaute, kiffte und erzwang sich freien Eintritt in Kinos und Diskotheken. Und es gab nicht nur Envers Bande, die den Wedding aufmischte. Von gefährlicher Fremdheit sprach dennoch kaum jemand.

Studenten, Schüler, Lehrlinge und einige Jungsozialisten griffen Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen!“ auf, gründen die Bürgerinitiative Putte, nehmen Werkzeug in die Hand und verwandeln einen Schuttplatz in einen Abenteuerspielplatz. In einem leerstehenden Haus in der Puttbusser (Putte) Straße wird ein Schüler- und Jugendladen eingerichtet. Schließlich besetzen deutsche und türkische Jugendliche das ganze Haus getreu dem Motto: Was man uns nicht gibt, das nehmen wir uns. Die Betonfraktion der stramm rechten Weddinger SPD wirft den Putte- Mitarbeitern kommunistische Unterwanderung und Anarchismus vor. Aber die saubere und ordnungsliebende Arbeiterbewegung hat 1974 auch im Wedding ihren Zenit überschritten. Die Besetzer erfahren breite Solidarität. Studenten des Otto-Suhr-Instituts halten Seminare im Haus ab, Kunststudenten organisieren Ausstellungen, Politprofis die Demonstrationen. Trotzdem wird das Haus geräumt und abgerissen. Ein letzter Triumph der alten Sozis.

Die Putte kämpft weiter und zieht über Jahre von einer schimmeligen Notunterkunft in die nächste. Weder gibt es genug Geld noch klare pädagogische Vorstellungen. Nur eins ist sicher – die Jugendarbeit soll politisch sein, die Jugendlichen zu Widerstand und zum Internationalismus erzogen werden. Trotz Chaos und heftiger Flügelkämpfe ist die Arbeit erfolgreich. Enver zum Beispiel mutiert vom Bandenchef zu einer Art Erzieher. Er beginnt zu lesen und begreift, so erzählt er, nur organisiert läßt sich gegen kapitalistische Ausbeutung oder faschistische türkische Gruppen angehen.

In dieser Atmosphäre entwickelt die Putte eine pädagogische Konzeption, die bis heute beispielhaft ist. Bereits 1976 – inzwischen ist die Bürgerinitiative ein Ausländerprojekt – wird für die Mitarbeiter eine Quote eingeführt, die Hälfte soll türkischsprachig sein. Als die Putte 1979 in die „Fabrik Osloer Straße“ zieht, das Stadtteilzentrum in einer alten Maschinenfabrik, tobt der damalige SPD-Lokalpolitiker und heutige Bezirksbürgermeister Hans Nisblé: „Wir kommen immer wieder dahin, daß eine Bürgerinitiative lautstark durch die Stadt zieht, und dann kommt der Senat und schüttet Millionenbeträge hinterher, ohne zu wissen, welche Konzeptionen dahinterstehen.“

Nisblé hatte recht. Ohne Flugblätter, zweisprachige Putte-Zeitungen, Demonstrationen, ohne nächtens gesprühte Parolen, Straßenfeste und ein großes Sympathisantenumfeld hätte die Putte nicht überlebt, hätte der Berliner Senat kein Geld lockergemacht. In einem Punkt irrte Nisblé allerdings: Für die Millionen gab es gute Arbeit. Ab 1980 hat die Putte genügend Räume und bezahlte Mitarbeiter, um ihr generationsübergreifendes Konzept zu verwirklichen. Die Erfolgsbilanz: Vierzigjährige Frauen lernen Lesen und Schreiben; Mädchen beginnen, sich gegen Väter und Brüder durchzusetzen; Jungs lernen Alternativen zum Desperadodasein kennen. Und auf noch einen Erfolg konnte die Putte bis vor kurzem stolz sein. Solange sie die kulturelle Hegemonie hatte, konnten weder faschistische, nationalistische noch fundamentalistische Gruppen den Kiez dominieren.

Inzwischen ist es Viertel nach acht, und das Café ist zur Hälfte gefüllt. Am Befund ändert das wenig: Die Putte hat nicht nur die Partyhoheit, sondern auch ihre pädagogische und politische Vormachtstellung verloren. Deutsch- und Alphabetisierungskurse für Frauen bietet nun die Moschee an. Auch für Jugendliche hat die islamistische Milli Görüs heute Attraktiveres zu bieten: eine Großleinwand für die Übertragungen von Fußballspiele aus der Türkei. „Die Jugendlichen fragen, ob wir uns nicht auch so ein Ding anschaffen könnten,“ klagt Kazim Binici, Mitarbeiter des Putte-Jugendladens. Kann er nicht. Und noch etwas kann Binici seinen Jugendlichen auch mit noch so viel Einsatz nicht mehr bieten: ein solidarisches Milieu, getragen von Stadtteilaktivisten, deutschen und türkischen Jugendlichen und einer fairen, interessierten Presse. Auch da haben die Fundis mehr vorzuweisen – die Solidargemeinschaft der Muslime.

Gegen neun Uhr füllt sich der Festsaal dann doch noch mit ehemaligen Mitarbeitern, deren Kindern und Jugendlichen aus dem Kiez. So wird das Jubiläum zu einer netten Familienfeier. Und schließlich kommt sogar Politprominenz zur Stippvisite. Die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) informiert sich über die Lage im multikulturellen Nahkampfgebiet Wedding. Und der grüne Jugendstadtrat holt sich Prügel ab für den Sparkurs und überrascht mit einer eigenwilligen These: Weil kein Bedarf an Nachbarschaftsarbeit mehr bestünde, müsse ein weiteres Nachbarschaftszentrum im Wedding schließen. Wenn das Enver, der Handwerker, gehört hätte.

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