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■ SchlaglochPost-kiotaler Kater Von Christiane Grefe

„Wieso taufen wir nicht Hurricanes wie Ölfirmen? Der Name ,Exxon‘ würde ein Wunder an politischer Aufklärung bewirken...“

Tom Spencer, englischer

Europaparlaments-

abgeordneter

Cornelia stellt sich nächsten Samstag am Last-Minute-Schalter an. Anne feiert Weihnachten jedes Jahr auf Sansibar. Alle unterwegs, auch Helmut: Richtung „Gebirgs- Stachus“, sagt er immer und hängt schon auf der Hinfahrt stundenlang am Irschenberg fest. Schifahren fahren, fahren auf der Autobahn. Und zwischen den Stops und den Gos danken die alpinen Straßenlawinen ihren Blechkistenlobbyisten vom „Verband der Deutschen Autofahrerindustrie“, die für ihre Forderungen nach freier Fahrt jetzt eine neue Verkaufsstrategie gefunden haben: „Staus gefährden in Deutschland das Klimaziel.“ Nicht Autos und Spritverbrauch also, sondern Staus?

Solche Nachrichten von der täglichen Mobilitätsmanie erreichen gewohnheitsmäßig nur knapp das Ohr. Ebenso an der Oberfläche bleiben die stets kurz vor Weihnachten aktualisierten Daten über das Siechen der Nadelbäume und Eichen; längst gehört es bei deren Veröffentlichung auch schon zum Ritual, die allgemeine Gleichgültigkeit als Ritual zu beklagen. Und in Kioto sollen sie sich ja auch einigermaßen geeinigt haben? Doch dann schreckt man zwischen Weltklimakonferenz und Waldschadensbericht plötzlich doch mal wieder hoch: Hatte nicht das eine mit den beiden anderen, also der Verkehr mit der Luft- und Bodenversauerung und dem CO2-Ausstoß, irgendwie zu tun?

Tatsächlich ist das Hin- und Herbringen von Menschen und Waren, das brummende Gerenne und Gefliege nach wie vor nicht nur einer der größten, sondern auch noch ein wachsender Posten in der Treibhausgasbilanz: Der „motorisierte Individualverkehr und Flugverkehr sind die Gewinner bei den Verkehrsleistungen in den letzten Jahren“, heißt das lapidar unter den einschlägigen Zahlenkolonnen. Und in der Tabelle „Güterverkehr“ steht, daß sich für die Parmaschinkenschweine, die vorgefertigten Autoteile und Fastfood-Verpackungen, die den europäischen Binnenmarkt durchkreuzen und -queren, „die Verlagerung von der Schiene auf die Straße weiter beschleunigt“ habe.

Je klarer also der Konsens, daß die Klimabedrohung real ist und die CO2-Emissionen runter müssen, desto mehr Verkehr?

Eine absurde Logik. Doch während in der Industrieproduktion die Energieverbrauchskurven sinken, steht das Transport- und Konsumverhalten kaum zur Diskussion. Ganz im Gegenteil: „Die Zeiten sind doch vorbei, wo jeder sein Frühstücksei zum Politikum machte“, spottete neulich eine Freundin.

Und wohl wahr, auch bei diesem Thema haben sich der Hang zur bequemen Optimierung und die Angst, als humorlos „politisch korrekt“ zu gelten, gar glücklich vermählt. Auf dem Ökomarkt, wo es regional produzierte, also mit wenig Transportkosten vertriebene Waren gibt, gehen wir zwar alle mal einkaufen – aber eben nicht „alternativ“, sondern zusätzlich zu den vielen anderen schönen Geschäften, wo es Mineralwasser aus Schottland gibt und Maniok in Dosen. Und auch die Bahncard ersetzt nichts, sondern liegt gleich neben dem „Miles & More“-Sammelheftchen von der Lufthansa und dem Autoschlüssel in der Kommodenschublade.

Natürlich sind viele Menschen vom Arbeitsmarkt abgehängt und damit zur Selbstbeschränkung gnadenlos gezwungen; mehr als verständlich, wenn die nicht nachvollziehen können, daß man ihnen ökologisch kommt. Doch die Mehrheit ist weiterhin gut drauf, und selbst wer sich von Wohlstandsverlusten bedroht sieht, spart offensichtlich als letztes an der Mobilität: Reisefirmen verzeichnen nach wie vor hohe Wachstumsraten. Kaum anders übrigens in Großbritannien, wo die „Freunde der Erde“ in die öffentliche Sensibilisierung während der Klimakonferenz hinein ihren Bericht „Nachhaltiges England“ publizierten; darin verlangen sie den shopaholics scharfe Einschnitte in ihrem Konsumverhalten ab. Was jedoch selbst von der linksliberalen Zeitung The Guardian als eine Art politischer Suizidversuch der Umweltschützer gedeutet wurde. Die Gewinne an Genuß, Spannung, Entspannung, Träumen, Ablenkung, Bildung und Status beim Reisen sind einfach zu groß. Ein echtes Tabu.

Zudem ist der Urlaub ja nur ein Teil des Problems: Verdoppelt hat sich zwischen 1960 und 1990 vor allem die – meist beruflich erzwungene – tägliche und wöchentliche Mobilität. Meine Eltern leben im Sauerland, das liegt fast 600 Kilometer von meinem Wohn- und Arbeitsort entfernt. Meine Freunde sitzen in den Städten, in denen ich früher gewohnt habe; sollen wir etwa, wie einer neulich vorschlug, parallel mit dem Handy spazierengehen, er im Tiergarten und ich an der Isar entlang? Und mit der Globalisierung nehmen die Kilometerzahlen weiter zu: Max hat sich gerade in Beirut verliebt. Und neulich sah ich im Fernsehen den Münchner Physiker und Träger des Alternativen Nobelpreises Hans-Peter Dürr; ausgerechnet auf dem Rückflug von Amerika haben sie ihn über die Folgen der Energieprasserei und sein 2,5-Kilowatt-Konzept ausgefragt. Aber soll er den Austausch mit den dortigen Hochschulen etwa nicht mehr pflegen?

Nein, in der mobilen Arbeitsgesellschaft fördert auch die Forderung nach „Verzicht“ vor allem eines: Heuchelei. Gerade erst wieder mit einem Ökokämpfer-Freund herzlich gelacht, weil auch er jetzt jedes Wochenende zwischen Familie und Job pendeln muß, immer freitags mit der 21-Uhr-Maschine. Während er mich dabei erwischt hat, daß ich, weil es dreimal so schnell geht und dafür mindestens 70 Mark billiger ist, zwischen München und Berlin doch wieder den Flieger genommen habe. Bei der Landung in München muß ich dann immer an die Baumpatenschaft im Erdinger Moos denken, die ich seinerzeit im Kampf gegen den neuen Flughafen übernahm...

Zu meiner Verteidigung kann ich zwar vorbringen, daß ich kein Auto besitze. Aber solche kleinen privaten Verhaltensänderungen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn sich nicht die ganze Logik des großen ökonomischen Rahmens verändert. Die Einsicht ist ebenso uralt und derzeit politisch mausetot wie nach wie vor richtig, ceterum censeo: Ohne eine schrittweise eingeführte und sozial abgefederte Ökosteuer kann und wird es keine einschneidende Veränderung der Mobilität geben, und jedes CO2-Reduktionsziel bleibt unglaubwürdig.

Denn erst wenn Energie und Sprit wirklich teurer sind, werden sich öffentliche Verkehrssysteme verbessern und lohnen, und Zwei- Liter-Autos werden keine Ladenhüter mehr sein. Dann erst wird, so wie vor 20 Jahren, wieder seltener und dafür länger und bewußter Urlaub gemacht. Und die aus London mitgebrachten Ingwerplätzchen zu Weihnachten sind wieder etwas Besonderes, weil sie wegen der hohen Transportkosten nicht ohnehin auch in jedem deutschen Supermarkt stehen.

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