: Bafög für alle – oder für keinen
Heute findet in Bonn der Bafög-Gipfel statt. Der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten ringen um eine große Reform – die allen Studierenden die Ausbildungsförderung zuteil werden ließe ■ Aus Berlin Christian Füller
Stell dir vor, es gibt Bafög, und keiner kriegt's mehr. So wird sich die soziale Absicherung des Rechts auf Bildung in der Bundesrepublik bald beschreiben lassen. 1971 erhielten – im Westen – noch 45 Prozent die Studienstütze. In der DDR hatte sogar jeder Student und jede Studentin Anrecht auf ein sogenanntes Grundstipendium. 1997 ist alles anders. Bundesweit ermöglicht das Bafög nur noch 15 Prozent der Studierenden, ihre akademische Laufbahn mit einer staatlichen Förderung zu beginnen. Gleichzeitig ändert sich die soziale Zusammensetzung der Studierenden: Die Zahl studierender Angestelltenkinder steigt beharrlich, die von Arbeitern sinkt.
Das Problem ist längst erkannt. Deswegen veranstalten die Ministerpräsidenten der Länder heute mit Bundeskanzler Helmut Kohl einen Bafög-Gipfel. Bei den berühmt-berüchtigten Kamingesprächen vor Weihnachten liegen diesmal konkrete Vorschläge auf dem Tisch, wie man wieder mehr Studierende am Bafög partizipieren lassen kann. Das Drei-Körbe-Modell oder „Bafög für alle“, das Bayern-Modell. Wenn keiner dieser Vorschläge umgesetzt wird, dann kommt es wieder nur zu einer Kleinen Novelle. Das ist die Anpassung der Verdienstgrenzen, wie sie alle Jahre schon erfolgt. Das Dilemma des geltenden Bafögs sei, faßte Veronika Pahl von der Angestelltengewerkschaft DAG zusammen, daß diese Anpassung zu gering ausfalle – und sich das Bafög damit praktisch selbst abschaffe.
Im Sommer 1990, als mehrere tausend DDR-Studierende tagelang die Magistrale Unter den Linden blockierten, um die DDR- Volkskammer zum Erhalt des Grundstipendiums zu bewegen, dachte niemand an ein „Bafög für alle“. Das hat sich gründlich geändert. Das Studentenwerk kämpfte jahrelang mit dem dramatischen Bafög-Schwund als Argument für eine Reform der Ausbildungsförderung an Haupt und Gliedern. Die Gewerkschaften sekundierten. Seit zwei Jahren verfolgen die Kultusminister der Länder die gleiche Idee mit dem sogenannten Drei-Körbe-Modell.
Der Esprit daran: Es würde nicht mehr Geld kosten als das bisherige Bafög. Vor allem aber würden nicht mehr die Eltern via Kindergeld und Elternfreibeträge von den steuerpolitischen Vorteilen profitieren. Nein, es wären die – immerhin erwachsenen – jungen Leute selbst. Daraus, so die Idee, ließe sich der erste Korb füllen. Und jede und jeder Studierende dürfte rund 350 Mark pro Monat daraus in Anspruch nehmen. Der zweite Korb wäre für bedürftige Studis. Und der dritte Korb würde Examenskandidaten auf Darlehensbasis über die gefürchtete Schlußphase des Studiums helfen. Die Gegner des Modells, und das ist Bildungsminister Jürgen Rüttgers (CDU), schimpfen die drei Körbe als „nicht finanzierbar“.
Das Bayern-Modell sieht vor, den Eltern nur noch dann Freibeträge und Kindergeld zu gewähren, wenn ihre studierenden Kinder regelmäßig Leistungsnachweise beibringen. So ließe sich der Baföghöchstsatz (derzeit runde 1.000 Mark) erhöhen – und trotzdem 470 Millionen Mark sparen. Die Gegner betiteln die Bayernvariante als Geldbeschaffungsmodell.
Genau wie bei der Kleinen Novelle, die sich als erneuter Kompromiß abzeichnet, dürfte damit der Bafög-Schwund kaum gestoppt werden können. Die neuesten Zahlen zeigen: Von 1995 auf 1996 sank die Zahl der Bafög-gestützten Studierenden um weitere sieben Prozent an Fachhochschulen und um elf Prozent an den Universitäten. Das Studentenwerk wies gestern daraufhin, daß Stichproben für das Jahr 1997 ein weiteres rapides Absinken der Geförderten an den großen Unis um ein Viertel ergaben. Die Ursache: Bereits 1996 hatte man sich in Bonn nur auf eine Kleine Novelle geeinigt, weil Bildungsminister Rüttgers die große Reform nicht gepaßt hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen