Werwölfe proben die Revolution

■ Versuchte Gründung einer terroristischen Vereinigung: Bundesanwaltschaft will Hamburger Neonazis den Prozeß machen

Sind Neonazis Terroristen? Geht es nach dem Willen der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, so sollen die beiden rechtsradikalen Hamburger Henry Fiebig und Christan Scholz im kommenden Jahr vor Gericht gestellt werden. Beiden werfen die Bundesanwälte nach Paragraph 129a Strafgesetzbuch die versuchte Gründung einer terroristischen Vereinigung vor. Wann sich der „Staatsschutzsenat“des Hanseatischen Oberlandesgericht mit dem Verfahren befassen wird, ist noch unklar. Eine Sprecherin erklärte gestern: „Über die Zulassung der Anklage ist noch nicht entschieden.“

Fiebig (34) und Scholz (32) gehörten seit 1986 der – mittlerweile verbotenen – „Freiheitlichen Arbeiterpartei“(FAP) an. Offenkundig „unzufrieden“über die lasche Politik, versuchten sie laut Bundesanwaltschaft, „von 1989 bis 1994 die theoretischen und organisatorischen Grundlagen für die Gründung sogenannter Werwolf-Gruppen zu schaffen“. Scholz, Mitbegründer der 1992 verbotenen „Nationalen Offensive“, fungierte damals auch als presserechtlich Verantwortlicher der „FAP-Nachrichten.“

Um die „nationalsozialistische Revolution“zu realisieren, so der Vorwurf der Bundesanwälte, verfaßten die beiden Neonazis die Schriftenreihe „Eine Bewegung in Waffen“– theoretische und praktische Handlungsanweisung“für den „bewaffneten Kampf“. Weitere Publikationen, die ihnen zur Last gelegt werden, tragen Titel wie „Massenpsychologie, Propaganda und Revolution“oder „Strategie und revolutionärer Kleinkrieg“– letztere eine Kriegsanleitung für den logistischen Aufbau von Werwolfgruppen, die durch Sabotageakte, Mordanschläge und Geisel-nahmen den Staat angreifen sollten. In einem „Handbuch für improvisierte Sprengtechnik“wird darüber hinaus die Herstellung von Brand- und Sprengsätzen sowie Sprengfallen beschrieben. Fiebig soll die beschriebenen Sprengsätze mehrmals auf Tauglichkeit erprobt haben.

Die Polizei war erst im Juni 1993 auf Fiebig und Scholz aufmerksam geworden. Damals war Fiebigs neues Domizil am Flora-Park von rund 250 Antifaschisten aufgespürt und belagert worden. Im Verlauf der Aktion schoß Fiebig mehrmals mit Leuchtspurmunition auf Demonstranten und Polizisten. Bei der anschließenden Durchsuchung der Wohnung fand die Polizei ein umfangreiches Waffen- und Sprengstoffarsenal.

Vier Jahre brauchten die Fahnder, um die Anklageschrift zu formulieren. Wegen der konspirativen und internationalen Vernetzung der rechten Szene sei es „schwierig“gewesen, so erklärte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft, „die versuchte Gründung einer terroristischen Vereinigung nachzuweisen“. Der Staatsschutzsenat muß nun entscheiden, ob die Bundesanwälte ihre Schularbeiten gemacht haben und die Anklage zugelassen wird.

Inzwischen haben Fiebig und Scholz ihr Tätigkeitsfeld in andere Städte verlagert. Verfassungsschutzchef Reinhard Wagner: „Aus Hamburg haben die sich verabschiedet.“ Peter Müller