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Der große Roman fehlt

Erbsenzählungen, Vereinshistorien und etwas Feuilleton, doch kaum realistische Innenansichten: Eine Jahresbilanz des wachsenden Marktes der Fußballbücher  ■ Von Christoph Biermann

Früher, als Märchenonkel den Buben in kurzen Hosen noch Geschichten über große Fußballspieler und historische Schlachten auf dem Rasen erzählten, standen die entsprechenden Bände in den Buchhandlungen hinten in der Ecke. Neben den Bildbänden zur Weltmeisterschaft und diversen Trainingslehren. Inzwischen gibt es eigene Regale und einen noch kleinen, aber immerhin vorhandenen Markt für Fußballbücher. Verglichen mit der Vielfalt der Ansätze und der Qualität, die Bücher über Fußball in England bieten, ist er aber weiterhin entwicklungsfähig.

Die meisten Regalmeter nehmen hierzulande die Erbsenzähler ein. Besonders der Agon Verlag aus Kassel veröffentlicht pausenlos Statistikbücher, in denen man alles über die Auswärtsbilanz des 1. FC Köln vor 40 und die Zahl der Platzverweise bei Eintracht Braunschweig vor 30 Jahren erfahren kann. Und das ist nur unbeugsamen Positivisten und anderen hartgesottenen Gemütern zuzumuten, mit einer Ausnahme: Hardy Grüne, dem König der Erbsenzähler. Seine „Enzyklopädie des deutschen Ligafußballs“ (Agon, 59,80 bzw. 48 Mark) ist großformatig, zweibändig und umfaßt alles, was man wissen möchte und, wenn nicht, worüber man sich trotzdem freut. Der dramatische Abstiegskampf in der Gauliga Nord vor 52 Jahren oder eine Personalie über den Fürther Nationalspieler Andreas Franz.

Ganz nebenbei gibt Grüne das ebenso unwiderstehliche „Europäische Fußball Jahrbuch“ (Agon, 40 Mark) heraus, wo man seine Wissenslücken in bezug auf den georgischen oder finnischen Fußball schließen kann.

Ähnlich beliebt wie Statistikbücher sind Vereinshistorien, die sich eine Nische im Markt der Fanartikel gesichert haben. Dort regiert der Verlag Die Werkstatt. Seine Bände über Bayern München, den FC St. Pauli und Arminia Bielefeld sind bereits die Veröffentlichungen sechs bis acht in der Reihe. Der zumeist sozialhistorische Ansatz kollidiert dabei zuungunsten des Lesevergnügens oft mit der Notwendigkeit, große Siege und Niederlagen aufzuschreiben.

Trotzdem gelingt es etwa Dietrich Schulze-Marmeling, den Weg des FC Bayern nicht nur „Vom Verein zum Konzern“ (44 Mark) nachzuzeichnen, er findet auch die Wurzeln des Klubs im bürgerlichen Milieu Schwabings und seine Verbindungen zum jüdischen Bürgertum Münchens. Auch „You'll never walk alone“, René Martens' Buch über den FC St. Pauli (39,80 Mark), weist ein interessantes historisches Detail auf: die seitdem in Hamburg eifrig diskutierte braune Vergangenheit des langjährigen Vorsitzenden und Namensgebers des Stadions, Wilhelm Koch.

Trotz dieser Geschichtshäppchen wäre es an der Zeit, Schulze- Marmelings 1992 bahnbrechendem Versuch, mit „Der gezähmte Fußball“ eine Art parteiliche Sozialgeschichte des Fußballs zu schreiben, eine nüchterne und umfänglichere folgen zu lassen. „Fußball, soccer, calcio. Ein englischer Sport auf seinem Weg um die Welt“ (dtv, 29,90 Mark) der Hamburger Historikerin Christiane Eisenberg will das leider nur ansatzweise, weil sie die historische Entwicklung des Fußballs in einen internationalen Vergleich stellt. Die Gastbeiträge aus acht Ländern sind allerdings in ihrer Qualität unterschiedlich und bleiben oft hinter dem zurück, was in England zum Thema bereits erschienen ist. Trotzdem wäre Eisenberg wohl prädestiniert, eine Monographie zur Geschichte des deutschen Fußballs zu schreiben.

Innensichten des Fußballgeschäfts sind rar. „Mein Tagebuch“ (Sport Verlag, 39,90 Mark) von Lothar Matthäus liefert keine und ist deprimierend langweiliges Geplapper, dem nicht einmal unter Trash-Aspekten irgend etwas abzugewinnen ist. Die Leser, die Matthäus hatte, wären eigentlich Jürgen Rollmanns „Beruf: Fußballprofi“ (Sport Verlag, 29,90 Mark) zu gönnen. In den taz- Charts „Buch des Jahres 1997“ (siehe unten) liegt Rollmann ganz vorn. Doch vielleicht ist der Wunsch nach Wissen über den Arbeitsalltag eines Berufsfußballers und die Kräfte der Ökonomie geringer als die nach Märchen, Mythen und Illusionen. Auf feingeistige Weise dafür zuständig war auch einmal das Fußballfeuilleton. Das Interesse daran scheint allerdings zu sinken, vielleicht ist das Genre auch ausgereizt. So remixt (und erweitert) mit Norbert Seitz einer der üblichen Verdächtigen seine inzwischen zehn Jahre alten Analogien zwischen deutschem Fußball und deutscher Politik. Da er offensichtlich gemerkt hat, daß diesem Unterfangen bei „Doppelpässe. Fußball & Politik“ (Eichborn, 24 Mark) etwas Blutauffrischung gut täte, hat er den Band mit über 20 kurzen Aufsätzen von Thomas Helmer bis Rudolf Scharping aufgefüllt, die allerdings kaum neue Aspekte aufzeigen.

In den Grenzbereich von Fußballfeuilleton gehört Eduardo Galeanos mit dem scheußlichen Titel versehener Band: „Der Ball ist rund, und Tore lauern überall“ (Peter Hammer Verlag, 29,80 Mark). Manche der zumeist sehr kurzen Texte sind zwar vorhersehbar, andere hingegen präzise Miniaturen in schöner Sprache. Außerdem eröffnet das Buch des Autors aus Uruguay einen der seltenen Blicke auf Geschichte und Mythen des südamerikanischen Fußballs. Auf den großen Fußballroman hingegen werden wir noch länger warten müssen. „Der Trainer“ (wero-press, 29,80 Mark) von Frank Nägele ist es nicht, stellt aber auch gar nicht den Anspruch. Der Redakteur des Kölner Stadtanzeigers zieht das Deftige vor: Sex und Geld, Intrigen und Gewalt. Vielleicht ist er da von der Wahrheit gar nicht so weit entfernt.

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