: Exoten, Kriminelle und Opfer
■ Im Umgang der Medien mit Ausländern in Deutschland bleiben Normalität und Alltag meist ausgespart, behaupten Sprachforscher. Ursache: Redaktionen seien Bastionen der Deutschen
Frankfurt hat einen Ausländeranteil von 30 Prozent. Richtig? „Falsch“, sagt der Publizist Ralf Koch, „ein großer Teil der vermeintlichen Ausländer versteht sich als Inländer.“ Koch schlägt vor, von Migranten oder Einwanderern zu sprechen, da das Wort „Ausländer“ Bilder von Fremdheit und Bedrohung erzeuge. Natürlich stimme es formal, wenn Berichte nach Wahlen von „Vierteln mit hohem Ausländeranteil“ sprechen, doch das verzerre die Realität und wirke diskriminierend.
Journalisten sollten nach dem Selbstverständnis der Nichtdeutschen fragen. „Der ZDF-Moderator Cherno Jobatey nennt sich ,schwarzer Preuße‘, der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir ,anatolischer Schwabe‘. Und unter den Frankfurter Ausländern gibt es sicher viele, die sich als Deutsche mit türkischem Paß verstehen“, so Koch.
Er ist Autor des Buchs „Medien mögen's weiß“, in dem er anhand von Journalisten, die Minderheiten angehören, über „Rassismus im Nachrichtengeschäft“ berichtet. Seine These: In seriösen Medien gebe es zwar keinen unverhüllten Rassismus. Doch die Bilder, die von Nichtdeutschen gezeichnet werden, seien schablonenhaft und bestätigten fremdenfeindliche Denkmuster.
Koch kritisiert, daß Migranten nur in wenigen Rollen auftauchen: als Opfer von Rechtsradikalen oder als kriminelle Täter zum Beispiel, als Exoten oder als Musterausländer. Die Good-Will-Story über die Bauchtanzgruppe sei genauso fatal wie die Betroffenheitsreportage über den Überfall auf den Döner-Stand. „Diese Berichte blenden die Lebenswirklichkeit aus und haben mit den alltäglichen Konflikten der multikulturellen Gesellschaft nichts zu tun“, sagt Koch.
Auch Siegfried Jäger vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung glaubt, daß Medienberichte voller leichtsinnig gebrauchter Klischees seien. Er kritisiert schon vehement, daß Journalisten regelmäßig die ethnische Herkunft von Straftätern nennen, obwohl Nationalität, Akzent und ähnliches für das Verständnis vieler Straftaten unerheblich seien. „Manche Ethnien tauchen fast ausschließlich im Zusammenhang mit Verbrechen auf. Es besteht die Gefahr, daß damit die ganze Bevölkerungsgruppe in Mißkredit gerät.“ Sinti und Roma als Trickspieler, Polen als Autoschieber, Schwarze als Dealer und Russen als Mafiosi – die Liste ist beliebig erweiterbar. Jäger: „Die Stereotype beschreiben einen Ausschnitt der Wirklichkeit, wirken aber auf lange Sicht, als der entsprächen sie der ganzen Realität.“
Jäger sieht einen Zusammenhang zwischen einem „rassistisch unterfütterten Einwanderungsdiskurs“ in den Medien und ausländerfeindlicher Gewalt. Er argumentiert mit Michel Foucault: Medien informierten nicht nur, sie formierten auch das Bewußtsein. In den Diskursen gehe es um Macht und negative Bewertungen könnten reale Nachteile nach sich ziehen. Aus Berichten könnten Handlungen werden, aus Sätzen Brandsätze. Jäger: „Journalisten haben eine Mitverantwortung an dem, was sie herbeischreiben.“
Das Problem: Die meisten Redakteure wüßten gar nicht, was sie anrichten. Ihnen fielen die rassistischen Denkweisen nicht auf, weil sie mit ihnen aufgewachsen seien. „Dummheit schützt nicht vor Diskriminierung“, sagt Ralf Koch, „rassistisch wirken kann auch, was nicht rassistisch gemeint ist.“ Der Ausdruck „jüdischer Mitbürger“ sei vielleicht gut gemeint, aber dennoch fatal, da der Begriff nahelegt, diese Menschen seien keine „normalen“ Bürger.
Wie läßt sich die „interkulturelle Kompetenz“ von Redaktionen erhöhen? Zunächst, so die Forderung, müßten sie die Zusammensetzung der Bevölkerung widerspiegeln. „Deutschland ist seit 30 Jahren Einwanderungsland, dennoch sind die meisten Medien Bastionen des Deutschen“, sagt Koch. In den wenigsten Redaktion gäbe es interkulturell geprägte Redakteure, die die sprachlichen Verirrungen bemerken, die ihren deutschen Kollegen nicht auffallen.
Zur Normalität gehörte, wenn Nichtdeutsche auch in alltäglichen Zusammenhängen auftauchten. Bei der ganz gewöhnlichen Straßenumfrage beispielsweise. Koch appelliert an das ökonomische Gewissen der Verleger: „Menschen mit interkulturellem Hintergrund sind eine schon heute eine bedeutende Zielgruppe. Im Jahr 2010 wird sie ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen. Wer diese Menschen dauerhaft vor den Kopf stößt, riskiert Quote oder Auflage.“ Viva oder MTV hätten das begriffen und wählten ihre Moderatoren entsprechend der Zusammensetzung der Bevölkerung.
Siefried Jäger geht noch weiter. Er fordert gar, rassistisch wirkende Berichte, etwa über nicht deutsche Straftäter, notfalls nicht zu drucken. „Menschenrecht geht über Pressefreiheit“, behauptet er. Auf keinen Fall dürfe die Nationalität von Straftätern genannt werden. Es sei denn, der Journalist sei in der Lage, die kulturellen Hintergründe eines Falls kompetent zu beurteilen. Ariel Hauptmeier
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