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Von Deutsch-Südwest nach Washington

Die allzu lange Erfolgsgeschichte der deutschen Kolonialmedizin und ihre Fortsetzung über den Nationalsozialismus hinaus, bis hin zur Forschung über biologische Kriegsführung in unseren Tagen. Eine dichte, materialreiche Studie, vorgestellt  ■ von Rupert Neudeck

Wer würde sich schon etwas Böses denken, wenn er erfährt, daß es bei der Bundeswehr in Koblenz ein „Ernst-Rodenwaldt-Institut für Wehrhygiene“ gibt?

Dazu müßte man wissen, wer Ernst Rodenwaldt gewesen ist. Der Professor arbeitete als einer der privilegierten Rassehygieniker der Nazis. Seinerzeit war er verantwortlich für den Aufbau der Moskitozuchtstation in Berlin-Malchow und mit den NS-Plänen zu einer biologischen Kriegsführung intim vertraut.

Washingtons Forschungsinteressen

Ernst Rodenwaldt kam nur über die Hürde des deutschen und NS- Untergangs, weil er – wie so viele andere, wie Wernher von Braun und seine Peenemünder Forschergemeinde – für die Amerikaner interessant war. Exakt: für „Biological Warfare“.

Am 13. April 1945 nämlich verhörte der Major Paul Kubala vom „7th US-Army Interrogation Center den kriegsgefangenen Tropenmediziner, Rassehygieniker und Kolonialrevisionisten Ernst Rodenwaldt, Thema: „Biological Warfare“.

Kurz vorher schon hatte man in Pfafferode in der berüchtigten Nazi-Arbeitsgemeinschaft „Blitzableiter“ Material beschlagnahmt und einige der führenden Köpfe des Nazi-Teams festgenommen, die damals im Frühjahr 1943 die Aufgabe hatten, einen offensiven B- und C-Krieg vorzubereiten. Darunter war auch der Malariaforscher Gerhard Rose sowie der Posener Krebs- und Pestforscher Kurt Blome.

Kurt Blome war Stellvertreter des Reichsgesundheitsführers, zusätzlich stellvertretender Leiter der Reichsärztekammer und maßgeblich an Planungen zur Vernichtung tuberkulosekranker Polen im Warthegau beteiligt. Blome wurde im Nürnberger Ärzteprozeß von allen Punkten der Anklage freigesprochen und konnte später seine Forschungen in der biologischen Kriegführung im Rahmen der Aktion „Paperclip“ in Washington weiterführen.

Prof. Ernst Rodenwaldt wurde ebenfalls von den Amis geschützt: Zwar verlor er auf Verfügung der US-Militärführung erst mal am 31. Oktober 1945 seinen Heidelberger Lehrstuhl. Doch wurde er schon am 1. November 1948 wieder mit einem Lehrauftrag für Hygiene und der kommissarischen Leitung des Heidelberger Hygieneinstituts betraut. Bis zu seiner Emeritierung (1951) forschte Rodenwaldt nicht mehr kolonial, sondern „geomedizinisch“ weiter. Rodenwaldt starb, hoch geehrt als Vater der neuen bundesdeutschen Tropenmedizin, am 4. Juni 1965.

Das alles erfährt man in dem zum Zerbersten eindrucksvollen Buch des Braunschweiger Professors und Medizinhistorikers Wolfgang Eckardt: „Medizin und Kolonialimperialismus. Deutschland 1884–1945“. Wolfgang Eckardt beschreibt die Ursprünge und Quellen der rassistischen Kolonialmedizin. Die Nazi-Ärzte, die dann in den KZ ihre Menschenversuche mit Malaria-Prophylaxen machten, hatten ihre Vorläufer in den Schutztruppenärzten und anderen Medizinern, für die die Neger natürlich – wie später noch bis in diese Jahre im Apartheid-Süd-afrika – wunderbares Menschenmaterial für Medikamenten- und Medizinversuche waren. Weshalb zu den Fröschen und den Hasen greifen, wenn doch die tumben und unbedarften Neger alle da sind.

Das Buch enthält aber nicht nur peinliche Kapitel zur Vergangenheit der deutschen Kolonial- und Tropenmedizin, sondern auch sehr spannende Einblicke in den Aufbau der Infrastruktur in den Kolonien, die Deutschland noch bis 1918 besaß: Togo, Kamerun, Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Süd- Westafrika, die pazifischen Schutzgebiete, Kiautschou. Eckardt hat die Akten und Nächlässe der verschiedenen ärztlichen Missionsvereine gesichtet, die Akten der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes. Er ist den Spuren des großen Malariaforschers Robert Koch gefolgt, den Verbindungen, die Medizin, Kolonialismus und Rassismus eingegangen sind. Wie wenig die christlichen Kirchen und Missionen leisten und erreichen konnten bei der Auflösung der allgemeinen Apartheid-Ideologie, die in allen deutschen Kolonien tobte, wird dem Leser schmerzlich deutlich.

Die Missionsärzte der verschiedenen katholischen und protestantischen Kongregationen versuchten nur selten mal, Distanz zu den Kolonialverwaltungen aufzubauen. Aber selbst bei dem Vernichtungsfeldzug gegen die Herero gelang es weder den Missionaren noch den Ärzten eine Distanz zu den Morden herzustellen:

„Der Feldzug gegen die Hottentotten in Südwest Afrika ist wohl der anstrengendste, den je ein Volk gegen Wilde oder besser Halbzivilisierte geführt hat; dafür bietet er auch hochinteressante Momente, die zeigen, was der Mensch bei den größten Anstrengungen und Entbehrungen, durch das harte Muß erzwungen, leisten kann.“ (Oberarzt Ohlmann, März 1908 beim Feldzug gegen die „Kopper Hottentotten“).

Das einzig Bedauerliche vielleicht, daß dieses Buch mit so viel intensivem Anmerkungs- und Detailmaterial daherkommt, daß es seine heilsame Wirkung auf eine qualifizierte Öffentlichkeit, bis hin zum Parlament oder zur Bundeswehr, nicht tun wird.

Medizin und deutscher Kolonialismus

Aus der unendlichen Fülle des gut gegliederten Materials als eine Fundstelle dafür, wie verseucht der Zeitgeist im letzten Jahrhundert überall in Europa und den europäischen Parteien von der Rassen- ideologie imprägniert war: die Debatte im Reichstag über die Bekämpfung der Malaria durch Trennung der Bevölkerungsteile. „Über die Notwendigkeit der Entfernung der Eingeborenen aus der Nähe der Europäer in Duala“, hieß es in einer Denkschrift des Bezirksamtsmanns in Duala, Hermann Röhm, an den Reichstag. Die Häuptlinge hatten in Duala in einem Schreiben an den Gouverneur Dr. Ebermeier darauf hingewiesen: „... daß sie dem Gedanken einer Gesundheitskontrolle sehr sympathisch gegenüberstehen“, daß sie aber meinten, daß man diese Hygienepflege auch ohne räumliche Trennung der Eingeborenen-Wohnplätze von denen der Europäer erreichen könne. Otto Wels, der später beim Ermächtigungsgesetz heroisch agierende Abgeordnete der Sozialdemokraten nahm in der Debatte 1912 das Wort:

„Ich glaube nicht, daß es möglich sein wird, die Fliege (Anopheles) von diesem Wagenverkehr auszuschließen... Trotzdem ist es schwer, gegen ein medizinisches Gutachten als Laie anzukämpfen. Man muß sich damit abfinden, schon aus dem Grunde, wenn man nichts Besseres weiß.“ Das Protokoll verzeichnet „Heiterkeit“. Otto Wels fährt fort:

„Ich bin kein Mediziner, habe wohl etwas von Malaria gesehen, aber andere behandelt habe ich nicht.“

Wolfgang Eckardt: „Medizin und Kolonialimperialismus. Deutschland 1884–1945“. Schöningh Paderborn 1997, 638 Seiten, 78 DM

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